Ade, Abe: Was der scheidende japanische Premier hinterlässt
Seinen Großonkel Eisaku Sato hat er besiegt, seine Darmkrankheit nicht. Shinzo Abe, der am Mittwoch seinen 3.000. Tag im Amt bestritten hat und damit der am längsten ununterbrochen dienende Premier Japans ist (Eisaku Sato war 2798 Tage im Amt), tritt vorzeitig zurück. Eine unheilbare, entzündliche Darmerkrankung zwingt ihn dazu: „Dadurch bin ich nicht in der besten körperlichen Verfassung. Und ich darf keine schlechten politischen Entscheidungen treffen“, erklärte er, ehe er sich bei den Japanern bedankte und für noch nicht umgesetzte Vorhaben entschuldigte.
Unter anderem sprach Abe das Scheitern seiner „historischen Mission“ an: Er wollte eine Änderung der Verfassung durchsetzen, die Japans „Selbstverteidigungskräfte“ offiziell zum Militär aufwerten sollte.
Auftrag mit Geschichte
Ein Auftrag, der in seiner politisch prominenten Familie stark verankert ist. Abes Großvater Nobusuke Kishi, Minister im Zweiten Weltkrieg und später Premierminister, hatte seinem Enkel die Zweifel an bestimmten Punkten der Nachkriegsverfassung in die Wiege gelegt. Abes größter Angriffspunkt war stets eine Ergänzung des Artikel 9, der vorsieht, dass Japan sich nur noch verteidigen darf. Als Abe in
den frühen Achtzigern mit 28 Jahren von der Wirtschaft in die Politik wechselte, nannte er diese Verfassungsänderung sein großes Ziel.
Auch seine Nachfolger werden es schwer haben, dieses Ziel zu erreichen, zumal derzeit noch viel mehr auf dem Spiel steht: Abes Vermächtnis.
Wenn es eines gibt, wofür Abe von vielen gelobt wurde und wird, dann ist das
seine Wirtschaftspolitik, auch „Abenomics“ genannt: Mit billigem Geld, schuldenfinanzierten Konjunkturspritzen und dem Versprechen von Strukturreformen wollte er Japan aus der jahrzehntelangen Deflation und Stagnation führen.
Wachstum und Fall
Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt erlebte unter Abe zwischenzeitlich die längste Wachstumsphase seit Jahren, die Börse boomte. Auch waren die Unternehmen insgesamt ziemlich profitabel geworden und fingen an
– auch angesichts der Unsicherheit durch den Protektionismus der USA –, wieder im eigenen Land zu investieren.
Als US-Präsident Donald Trump die unter Obama ausgehandelte Transpazifische Partnerschaft aufkündigte, rettete Abe den Pakt, um der steigenden wirtschaftlichen Bedrohung durch China entgegenzutreten. Ebenso schloss er ein Freihandelsabkommen mit der EU ab.
Der US-chinesische Handelskrieg und vor allem die Corona-Krise drohen jedoch, Abes wirtschaftliche Errungenschaften zu zerstören. Nicht nur in diesem Sektor sorgte der japanische Premier für Schlagzeilen – auch seine Vetternwirtschaft bescherte ihm Skandale. Ihm wurde etwa vorgeworfen, einen engen Freund bei einer Baugenehmigung bevorzugt zu behandeln.
Opposition leckt Blut
Bis auf kurzzeitige Abstürze in Umfragen konnten diese Skandalvorwürfe Abe politisch nichts anhaben – zu unpopulär waren die Alternativen zu seinen Liberaldemokraten. Doch die Opposition hat schon vor wenigen Wochen Blut geleckt, die zersplitterte Demokratische Partei sich wieder zusammengeschlossen. Bei der nächsten Wahl im kommenden Jahr dürfte mit ihr zu rechnen sein.
Bis ein Nachfolger gefunden ist, wird Shinzo Abe seiner Rekord-Amtszeit noch ein paar Tage hinzufügen und versuchen, die politische Schockwelle, die sein Rücktritt in Japan ausgelöst hat, zu beruhigen.
Denn so oder so erwartet den nächsten Premier in der turbulenten japanischen Innenpolitik eine schwere Zeit. Abe selbst musste 2007 nach nur einem Jahr im Amt zurücktreten, tat das schon damals aus gesundheitlichen Gründen und kam damit einer Absetzung zuvor. Ehe er 2012 zurückkam und das Land politisch und wirtschaftlich stabilisierte, hatte Japan fünf Premierminister gesehen, der von diesen am längsten Dienende brachte es auf keine eineinhalb Jahre.
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