Nach Shell-Urteil: 1.600 Klimaklagen weltweit - wenn Gerichte die Umwelt retten
Das aufsehenerregende Urteil gegen den Ölgiganten Shell kam Saul Luciano Llinya zuvor. Denn es war eigentlich der peruanische Bauer aus der Stadt Huaraz, der zum ersten Mal in Europa einen privaten Konzern wegen der Verursachung von Klimaschäden vor Gericht gebracht hatte.
Seit vier Jahren ist seine Klage vor dem deutschen Oberlandesgericht Hamm anhängig: Der Peruaner hält den deutschen Energieriesen RWE für den Klimawandel mitverantwortlich, der die Gletscher rund um seine Heimatstadt zum Schmelzen bringt und damit den Ort mit Flutwellen bedroht.
Doch ein niederländisches Gericht in Den Haag war schneller und sorgte diese Woche für eine Sensation: Zum ersten Mal wird ein Energiekonzern gerichtlich gezwungen, seine Emissionen zu senken. Das größte europäische Öl-Unternehmen Shell muss seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 um 45 Prozent (zum Niveau 2019) reduzieren.Geradezu „revolutionär“ sei dieses Urteil, meint Umweltrechtsexperte Daniel Ennöckl vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Wien, „aber es lässt sich auf keinen anderen europäischen Staat übertragen.“ Dass nun ein Unternehmen verpflichtet wurde, seine Treibhausgase zu reduzieren, sei auf eine Besonderheit im niederländischen Zivilrecht zurückzuführen.
Laut dem Urteil muss der in 70 Ländern agierende Konzern die Treibhausgase nur in den Niederlanden senken. Shell hat indessen angekündigt, in Berufung zu gehen.
Dem heimischen Energieriesen OMV steht eine Klima-Klage nicht so bald ins Haus.
„In Österreich sind derartige Klagen so gut wie nicht möglich. Das österreichische Rechtsschutzsystem ist derart gestaltet, dass Klima-Klagen kaum erfolgreich sein können – weder gegen den Staat noch gegen Unternehmen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Verursachung von konkreten Schäden durch den Klimawandel nicht einzelnen Unternehmen nachgewiesen werden kann“, führt Ennöckl aus.
Rund 1.600 Klimaklagen weltweit
Weltweit aber sieht der Trend ganz anders aus. „Die große Welle an Klima-Klagen ist schon da, weil immer mehr Menschen auch vor Gericht gegen den Klimawandel kämpfen wollen. Und niemand hätte gedacht, dass der Fall Shell erfolgreich sein könnte“, sagt Ennöckl.
Kommt die Politik beim Kampf gegen den Klimawandel nicht rasch genug voran, wird immer öfter der Klimaschutz vor Gericht ausgefochten – mit großer Mehrheit in den USA. Rund 1.600 Klima-Klagen wurden weltweit bisher eingebracht. Ob sie aber erfolgreich sind, sagt Ennöckl, „hängt immer von der Ausgestaltung des nationalen Rechtssystems ab“.
Der Urknall
Der Urknall für die Klima-Klagen war ein Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA gegen die US-Umweltbehörde EPA vor 13 Jahren. Das Gericht verpflichtete die Behörde, den Ausstoß von Treibhausgasen zu regulieren. Bis dahin hatte sich die EPA mit dem Argument geweigert: Es sei nicht sicher, ob die von Menschen verursachten Emissionen für den Klimawandel verantwortlich seien.
Der Startschuss in Europa fiel vor fünf Jahren. Da verklagte die niederländische Umweltbewegung Urgenda den Staat. Ende 2019 bekam sie recht: Die Niederlande müssen ihre Treibhausgase stärker einschränken. Erste Konsequenzen: Das Tempolimit auf Autobahnen wurde tagsüber über 100 km/h beschränkt, der Kohleausstieg beschleunigt.
Der nächste Paukenschlag kam im April: Die deutsche Regierung musste nach mehreren Klima-Klagen und der folgenden Kritik durch das Verfassungsgericht ein neues Klimaschutzgesetz vorlegen. Die Emissionen sollen nun bis 2030 um 65 Prozent sinken.
In Österreich sind alle Klima-Klagen gescheitert. Der 40-jährige Waldviertler Mex M. und die Anwältin Michaela Krömer wandten sich mit ihrer Klima-Klage deswegen direkt an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
Dort liegen bereits zwei zweitere Klima-Klagen: Sechs Jugendliche aus Portugal und 1.800 Klima-Seniorinnen aus der Schweiz wollen vor Gericht besseren Klimaschutz erkämpfen.
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