Welche Verantwortungen tragen die Regierenden? Hat es auch mit der Krise der Nationalstaaten zu tun?
Schäuble: Wir reden von multiplen Krisen. Das sind Krisen, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Globalisierung hat mit der Klimakrise zu tun, aber auch mit dem Ukraine-Krieg. Ich kann zu Österreich nichts sagen. Aber in Deutschland sind wir zu sehr in Versuchung, jedem recht geben zu wollen. Das geht nicht. Demokratie braucht Führung.
Wie beurteilen Sie die Performance der EU-Kommissionspräsidentin, Ihrer Landsfrau und Parteikollegin Ursula von der Leyen?
Schäuble: Ich vergebe keine Noten. Die Aufgabe in Europa wird sein, in bestimmten Bereichen ein übergeordnetes Handlungsregelwerk aufzubauen. Da müssen dann die Mitgliedsländer bereit sein, Kompetenzen an Brüssel abzugeben. Beispiel Verteidigung. Nichts gegen österreichische Besonderheiten. Aber es geht nur gemeinsam. Komplementär zur NATO muss es eine europäische Lösung geben. Die Länder, die das wollen, müssen vorangehen. Polen, Deutschland und Frankreich. Polen hat die mit Abstand größte konventionelle Armee. Die Deutschen haben ihre Wirtschaftskraft, die Franzosen die atomare Komponente. Das müssen wir verstärkt gemeinsam nutzen – und eben auch gemeinsam finanzieren, im Rahmen der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse.
Was soll Österreichs Rolle bei der Verteidigung sein?
Schäuble: Man muss die Geschichte und Tradition der Länder verstehen. Ich bin alt genug, um Österreichs Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg inklusive der immerwährenden Neutralität verfolgt zu haben. Und Österreich nimmt seine Verantwortungen wahr. In der Migration ist das genauso, da brauchen wir eine europäische Lösung. Wenn man das den Menschen glaubhaft vermittelt, dass es möglich ist, dann wächst wieder die Zustimmung zu Europa.
Die Migration ist aktuell ein zentrales Problem für die EU.
Schäuble: Die Menschen wollen jetzt Lösungen. Die Möglichkeiten der Kommission sind begrenzt. Deshalb brauchen wir eine Koalition der Willigen.
Verteilen funktioniert nicht.
Schäuble: Man braucht ein gemeinsames Leistungsniveau für Soziales. Sonst gehen die Leute dorthin, wo es das beste Sozialsystem gibt. Also nach Österreich und Deutschland.
Ungarn hatte 2022 rund 50 Asylanträge, Österreich rund 100.000.
Schäuble: Na warum soll man nach Ungarn gehen? Aber wenn sich die anderen nicht solidarisch verhalten, dann kann es nicht sein, dass wir sagen, wir verhalten uns auch nicht solidarisch. Wichtiger ist auch hier übrigens Polen.
Sobotka: Wir sollten nicht immer mit dem Finger auf andere zeigen. Das Problem ist, dass in Ungarn nicht registriert wird. Die Leute gehen dorthin, wo es bessere Sozialsysteme gibt. Die Europäische Union ist gefordert, hier einen rigorosen Außengrenzschutz und kontrollierte Zuwanderung zu etablieren. Unser Problem ist, dass das Dublin-Übereinkommen nicht funktioniert.
Wie kommentieren Sie Österreichs Veto gegen die Schengenerweiterung?
Schäuble: Man muss immer die Position des Landes verstehen. Wir müssen auch die anderen respektieren. Das war immer mein Credo. Und natürlich müssen wir den Westbalkan stabilisieren.
Gibt es eine Chance, den Krieg in der Ukraine zu beenden?
Schäuble: Maßgeblich ist Amerikas Präsident Joe Biden. Er geht gut mit der Situation um. Natürlich hängt auch viel von der Ukraine ab. Putin hofft auf Ermüdung. In der Ukraine und bei uns. Zudem haben die Amerikaner ihm deutlich gemacht, dass die Reaktion auf eine atomare Eskalation für seine konventionellen Streitkräfte verheerend wäre. Das fand ich klug.
Kommentare