Schäuble: "Ohne Zusammenhalt funktioniert Demokratie nicht"

Schäuble: "Ohne Zusammenhalt funktioniert Demokratie nicht"
Der deutsche CDU-Politiker Wolfgang Schäuble warnt davor, Demokratie für selbstverständlich zu halten: „Sie ist kein Supermarkt, wo man sich einfach bedient“.

Nach der Eröffnung des Parlaments in Wien trafen einander Festredner Wolfgang Schäuble (CDU) und Präsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), um über Demokratie, Migration und den Ukraine-Krieg zu sprechen.

KURIER: Sie sehen die Demokratie in Gefahr. Wie ist das zu erklären?

Wolfgang Schäuble: Nehmen wir Donald Trump. Er ist nicht die Ursache, sondern die Spitze des Eisbergs. Die Spaltung der USA ist grauenvoll. Oder schauen Sie auf Bolsonaro in Brasilien. In Österreich und Deutschland geht es noch, aber etwa in Frankreich sind die klassischen Parteien pulverisiert. Oder schauen Sie in die Beneluxländer oder nach Skandinavien oder Italien. Demokratie ist nicht voraussetzungslos, sie ist eine Zumutung. Sie ist auch kein Supermarkt, wo man sich einfach bedient. Sie setzt etwas voraus, das man Identität nennen kann. Ohne Zusammenhalt funktioniert Demokratie nicht.

Woran liegt es, dass Demokratie nicht mehr so funktioniert?

Schäuble: Es gibt keine gemeinsame Kommunikation. Die sogenannten sozialen Medien und die Blasen, die daraus entstehen, die spalten.

Wolfgang Sobotka: Wir stehen vor der Herausforderung, dass sich die nächste Generation die Demokratie quasi wieder mehr aneignen muss. Ohne einen Lernprozess wird es nicht funktionieren. Da setze ich sehr stark auf unsere Demokratiewerkstatt im Parlament. Gut gebildete Jugendliche wägen mehr ab und sind nicht so empfänglich für populistische Strömungen.

Welche Verantwortungen tragen die Regierenden? Hat es auch mit der Krise der Nationalstaaten zu tun?

Schäuble: Wir reden von multiplen Krisen. Das sind Krisen, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Globalisierung hat mit der Klimakrise zu tun, aber auch mit dem Ukraine-Krieg. Ich kann zu Österreich nichts sagen. Aber in Deutschland sind wir zu sehr in Versuchung, jedem recht geben zu wollen. Das geht nicht. Demokratie braucht Führung.

Wie beurteilen Sie die Performance der EU-Kommissionspräsidentin, Ihrer Landsfrau und Parteikollegin Ursula von der Leyen?

Schäuble: Ich vergebe keine Noten. Die Aufgabe in Europa wird sein, in bestimmten Bereichen ein übergeordnetes Handlungsregelwerk aufzubauen. Da müssen dann die Mitgliedsländer bereit sein, Kompetenzen an Brüssel abzugeben. Beispiel Verteidigung. Nichts gegen österreichische Besonderheiten. Aber es geht nur gemeinsam. Komplementär zur NATO muss es eine europäische Lösung geben. Die Länder, die das wollen, müssen vorangehen. Polen, Deutschland und Frankreich. Polen hat die mit Abstand größte konventionelle Armee. Die Deutschen haben ihre Wirtschaftskraft, die Franzosen die atomare Komponente. Das müssen wir verstärkt gemeinsam nutzen – und eben auch gemeinsam finanzieren, im Rahmen der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse.

Was soll Österreichs Rolle bei der Verteidigung sein?

Schäuble: Man muss die Geschichte und Tradition der Länder verstehen. Ich bin alt genug, um Österreichs Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg inklusive der immerwährenden Neutralität verfolgt zu haben. Und Österreich nimmt seine Verantwortungen wahr. In der Migration ist das genauso, da brauchen wir eine europäische Lösung. Wenn man das den Menschen glaubhaft vermittelt, dass es möglich ist, dann wächst wieder die Zustimmung zu Europa.

Die Migration ist aktuell ein zentrales Problem für die EU.

Schäuble: Die Menschen wollen jetzt Lösungen. Die Möglichkeiten der Kommission sind begrenzt. Deshalb brauchen wir eine Koalition der Willigen.

Verteilen funktioniert nicht.

Schäuble: Man braucht ein gemeinsames Leistungsniveau für Soziales. Sonst gehen die Leute dorthin, wo es das beste Sozialsystem gibt. Also nach Österreich und Deutschland.

Ungarn hatte 2022 rund 50 Asylanträge, Österreich rund 100.000.

Schäuble: Na warum soll man nach Ungarn gehen? Aber wenn sich die anderen nicht solidarisch verhalten, dann kann es nicht sein, dass wir sagen, wir verhalten uns auch nicht solidarisch. Wichtiger ist auch hier übrigens Polen.

Sobotka: Wir sollten nicht immer mit dem Finger auf andere zeigen. Das Problem ist, dass in Ungarn nicht registriert wird. Die Leute gehen dorthin, wo es bessere Sozialsysteme gibt. Die Europäische Union ist gefordert, hier einen rigorosen Außengrenzschutz und kontrollierte Zuwanderung zu etablieren. Unser Problem ist, dass das Dublin-Übereinkommen nicht funktioniert.

Wie kommentieren Sie Österreichs Veto gegen die Schengenerweiterung?

Schäuble: Man muss immer die Position des Landes verstehen. Wir müssen auch die anderen respektieren. Das war immer mein Credo. Und natürlich müssen wir den Westbalkan stabilisieren.

Gibt es eine Chance, den Krieg in der Ukraine zu beenden?

Schäuble: Maßgeblich ist Amerikas Präsident Joe Biden. Er geht gut mit der Situation um. Natürlich hängt auch viel von der Ukraine ab. Putin hofft auf Ermüdung. In der Ukraine und bei uns. Zudem haben die Amerikaner ihm deutlich gemacht, dass die Reaktion auf eine atomare Eskalation für seine konventionellen Streitkräfte verheerend wäre. Das fand ich klug.

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