Post-Chef Pölzl schaut zurück: "Es war ein Privileg, so frei zu arbeiten"
Georg Pölzl über seinen Weg an die Spitze, die harte Schule von McKinsey, Beamtenmentalität, Briefmarken, sein „Bauchwehprojekt“ und den Luxus, Shitstorms zu ignorieren.
Georg Pölzl war 15 Jahre lang Post-Chef. Er hat das Unternehmen umgekrempelt und übergibt im Oktober an seinen Nachfolger Walter Oblin, den bisherigen Finanzvorstand.
KURIER:Wie fühlt es sich an, demnächst Pensionist zu sein? Mit 67 haben Sie das gesetzliche Pensionsantrittsalter ja schon überschritten.
Georg Pölzl: Mit der Bezeichnung „Pensionist“ habe ich tatsächlich ein gewisses Problem, aber ich habe schon viele Pläne.
Sie sind Absolvent der Montan-Uni. Wie sehr ist sie Kaderschmiede?
Entscheidend ist die technisch-naturwissenschaftliche Grundausbildung. Nicht zufällig sind alle Postvorstände Ingenieure.
Weil man da logisch und strukturiert denken lernt. Auch bei McKinsey in der Unternehmensberatung waren immer mehr als 50 Prozent Naturwissenschaftler.
McKinsey war die harte Schule, die Sie und auch Ihr Nachfolger durchlaufen haben: Das sind quasi die unsympathischen jungen Herrn, die in dunklen Anzügen und weißen Hemden selbst bei 40 Grad nie schwitzen und für die unangenehmen Botschaften zuständig sind, die sich der Geschäftsführer nicht zu kommunizieren traut, oder?
Das ist manchmal Beweggrund für das Engagement eines Beraters. Für mich war es eine gute Schule. Als Techniker hatte ich von Betriebsführung ja keine Ahnung, das habe ich dort in den sechs Jahren gelernt. In Arbeitszeit waren es wahrscheinlich mindestens zwölf. Es wird einem dort extrem viel abgefordert.
Ausführliches KURIER TV-Gespräch mit Post-Chef Georg Pölzl
Haben Sie selbst je Berater in Anspruch genommen?
Wir nehmen laufend Berater in Anspruch für Aufgaben, wo wir die Kompetenz nicht im Haus haben, zum Beispiel für neue Geschäftszweige, wie es die bank99 war.
Die bank99 hatte Anlaufschwierigkeiten. War eine Bankgründung denn wirklich notwendig?
Ja. Die Post war 140 Jahre lang Vertriebspartner der Postsparkasse, die von der Bawag übernommen wurde. Diese ist dann aber aus dem Filialgeschäft ausgestiegen. Am 1. April 2020 sind wir mit der bank99 an den Start gegangen – ausgerechnet im ersten Lockdown. Dennoch hatte die Bank nach einem Jahr 100.000 Kunden. Wir haben dann auch noch das Österreich-Geschäft der ING übernommen. Bis Jahresende werden die unterschiedlichen IT-Systeme vereinheitlicht. Der Break-even wird dann hoffentlich spätestens im übernächsten Jahr erreicht. Es war wahrscheinlich das schwierigste Projekt meiner Karriere.
Haben Sie je Shitstorms erlebt?
Ja, aber ich leiste mir den Luxus, das nicht zu lesen, weil ich diese negative Energie nicht brauche.
Es gab einst den bösen Spruch: „Wer nix ist und wer nix kann, geht zur Post und Eisenbahn“. Der ist verschwunden, ist die „Beamtenmentalität“ denn draußen?
Der Kulturwandel hat wohl mit dem Börsengang 2006 eingesetzt. Wir versuchen markt-, leistungs- und serviceorientiert zu sein. Der Personalkörper besteht jetzt noch zu etwas mehr als 20 Prozent aus Beamten ...
...die unkündbar sind.
Was aber kein Problem ist: Wir haben heute eine sehr gute Mischung aus erfahrenen Älteren und jungen Dynamischen, die im neuen Kollektivvertrag angestellt sind.
Haben Sie Arbeitskräftemangel?
Die schwierigste Zeit war die Pandemie und kurz danach. Jetzt ist es wieder viel leichter, aber wir müssen uns mehr als früher mit dem Thema Fluktuation auseinandersetzen.
Warum sind an der Führungsspitze der Post lauter Männer?
Das wird sich sicher ändern. In unseren Führungspositionen auf allen Ebenen steigt der Frauen-Anteil.
Seit Ihrem Antreten als Post-General 2009 hat sich das Briefvolumen halbiert, das Paketaufkommen hingegen vervierfacht. Wann wird der letzte Brief verschickt werden?
Das weiß niemand. Das Kundenverhalten hat sich insgesamt verändert: Briefe erwartet man nicht mehr so schnell wie früher, Pakete will man schon am nächsten Tag haben.
Ist die Post nicht der verlängerte Arm von Amazon, Zalando und chinesischen Billiganbietern?
Gott sei Dank haben wir ein dramatisch wachsendes Geschäftsfeld, während ein anderes schrumpft.
Wie „klimafit“ ist es, wenn Lkw mit Paketen durch die Stadt kurven?
E-Commerce ist wesentlich CO2-effizienter als der stationäre Handel. Ich spare Logistikschritte. Das sind schlanke Geschäftsmodelle.
Werden noch Briefmarken gesammelt?
Das ist ein kleines, aber sehr aktives Geschäftsfeld, das wir mit sehr viel Hingabe betreiben. In England zum Beispiel muss der König Marken freigeben. Bei uns kann es der Post-Generaldirektor selbst entscheiden, der das in den vergangenen Jahren mit sehr viel Freude gemacht hat.
Sie haben sich sehr kritisch zur SPÖ-Forderung nach einer Normalarbeitszeit von 32 Stunden pro Woche geäußert. Warum?
Die Debatte geht in die falsche Richtung und ist von großer Ahnungslosigkeit geprägt. Ich bin für flexible Arbeitszeitlösungen, aber nicht für solche Pauschalmodelle.
Und die von der Industrie gewünschte 41-Stunden-Woche, worüber auch gestritten wurde?
Wir sind mit dem jetzigen Arbeitszeitrahmen gut bedient.
Apropos Wadlbeißen: Wie oft erleiden Postler Hundebisse?
Das ist kein allzu großes Thema – es sind 30 bis 40 im Jahr. Vor einiger Zeit hatten wir sogar eine Kooperation mit einer Hundefutter-Firma. Die Postler hatten Leckerlis mit. Das kam sehr gut an. Sollten wir vielleicht wieder machen.
Briefträger waren immer wieder auch ein Bindeglied in der Gesellschaft. Mehr Effizienz heißt aber weniger Zeit für das Gespräch. Ist man noch „Postler der Herzen“?
Ich glaube schon, auch wenn der Leistungsdruck gestiegen ist. Früher war das Bild wohl nicht ganz unzutreffend, dass der Postler zu Mittag mit der Arbeit fertig ist. Das ist vorbei. In der Hochsaison – vor Weihnachten – gibt es auch Überstunden.
Sie wollten eine Art Balkanroute für die Post eröffnen, aber das türkische Engagement hatte 2013 einen holprigen Start.
Der Schritt ins Ausland war notwendig, aber das war ein Bauchwehprojekt. Ursprünglich war das türkische Wachstum stärker und die Inflation geringer. Wir haben zunächst 25 Prozent am türkischen Paketdienstleister Aras Kargo erworben mit der Option auf weitere 50 Prozent. Aber ein Teil der Besitzerfamilie wollte viel mehr Geld als vertraglich vereinbart, was in einen mehrjährigen Rechtsstreit mündete. Am Ende haben wir alles gewonnen. Das Unternehmen entwickelt sich jetzt gut.
Das politische Umfeld war kein Problem?
Nein, ich war sogar positiv überrascht, weil ich nicht erwartete, in der gerichtlichen Auseinandersetzung mit einer türkischen Familie so viel Fairness zu erleben. Die staatlichen Stellen waren immer bemüht, Investoren fair zu behandeln.
Was hat Sie selbst an die Spitze gebracht?
Ich war ehrgeizig und ein wenig ein Abenteurer.
Die Post fanden Sie daher ursprünglich wenig attraktiv.
Genau. Aber ich habe den Schritt nie bereut. Es war ein Privileg, so frei zu arbeiten – ohne Einflussnahme von besser wissenden, weit weg sitzenden Eigentümern oder Zentraleinheiten, wie das in größeren Konzernen üblich ist.
Ihre letzte Pressekonferenz ist am 7. August. Was werden Sie danach vermissen?
Alles! Aber ich freue mich auch auf Neues.
Zur Person Seit 2009 ist der gebürtige Grazer Post-Chef. Davor war er bei T-Mobile Deutschland. Pölzl schloss Poststellen (was ihm damals viel Kritik einbrachte), setzte auf Selbstbedienung und baute eine Postzentrale in der City. Nach dem Ausstieg der Bawag als Post-Partner gründete Pölzl die bank99. Er erwarb Anteile an einem türkischen Paketdienstleister und entwickelte 2017 den Online-Marktplatz shöpping, der nun nach Deutschland expandiert.
Das Unternehmen 53 Prozent der Post gehören dem Staat. Das Unternehmen hatte zuletzt 2,74 Mrd. Euro Umsatz und ein Betriebsergebnis von 190,2 Millionen. Wachstumstreiber ist das Paketgeschäft.
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