Spürbares Sommerloch
Die Österreichische Post hat rund mehr als 240 Zustellzentren in ganz Österreich, zwanzig davon in Wien. Der KURIER besucht die sogenannte „Basis“ im 14. Bezirk, um sich ein besseres Bild vom Beruf zu machen. Der erste Eindruck: Nichts für Morgenmuffel, die Schicht beginnt um 5.30 Uhr.
Draußen hat es erdrückende 30 Grad, in der Posthalle ist es nicht weniger heiß und stickig. Nur ein Ventilator auf dem Bürotisch eines Kollegen bietet Frische. An diesem Montagmorgen gibt es einige Mitarbeiterausfälle, „was für diese Jahreszeit ungewöhnlich ist“, erklärt Standortleiter Boycho Mitkov, der hektisch nach Ersatz sucht.
In der Briefzustellbasis werden aktuell pro Mitarbeiter täglich 30 bis 40 unterschriftpflichtige Sendungen verteilt: „Im Sommer liefern wir am Tag 800 normale Briefe pro Mitarbeiter.“ Nichts im Vergleich zur Hochsaison, die im Herbst startet. „Da erwarten wir doppelt so viel“, so der Chef. Klimabonus und Wahlen würden für Hochbetrieb sorgen. Dennoch würde man selbst bei Hochbetrieb weniger ausgelastet sein als früher, sagt Martin Sigl. Seit 1991 trägt er Gelb und kennt die Branche in und auswendig. Die Anzahl an Paketen sei in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, aber Brief-Post stark gesunken: „Man schreibt keine Weihnachtskarten mehr, man schickt E-Mails.“
Wer früher fertig ist, geht
Die Basis hat 85 Mitarbeiter. Sie arbeiten ab sechs Uhr früh bis etwa halb drei. Dabei gilt: „Wer früher fertig ist, darf auch früher gehen“, so Boycho Mitkov. Er selbst hatte vor knapp zwanzig Jahren seinen ersten Arbeitstag bei der Post: „Ich war flott unterwegs und spätestens um zwölf Uhr wieder zu Hause“, erinnert er sich. Es ist aber kein einfacher Job, warnt er. „Der größte Fehler, den man machen kann, ist, den Job nicht ernst zu nehmen.“ Man hätte eine große Verantwortung gegenüber den Bewohnern. Immerhin sind es teils sehr private Informationen, die man durch die Stadt trägt.
Genug geredet. Es geht zur ersten Arbeitsstation in der Basis. Ein Lkw liefert die Sendungen, die dann nach Adresse kategorisiert werden. Eine fixe Regel gibt es nicht. Jeder Postler hat seine eigene, effiziente Herangehensweise. Der KURIER schaut Mentor Robert Gratzl über die Schulter. Er sortiert Sendungen nach Hausnummern, legt die Briefe abwechselnd quer und dann aufrecht übereinander. So kann er sie später einfacher und schneller ausliefern. „Es ist eine eigene Wissenschaft“, sagt er. Nicht jeden Tag ist Werbung mit dabei. Heute schon. Bedeutet mehr Gewicht, was aber durch elektrische, selbstfahrende Post-Wagerl gut zu stemmen ist.
Die Augen und Ohren
Normalerweise zieht Gratzl auf schnellster Geschwindigkeit von Tür zu Tür. Damit ich Schritt halten kann, verlangsamt er das flotte Wagerl auf die mittlere Stufe. Vorerst zumindest. Gratzl ist seit zehn Jahren dabei, kennt seine Postrayone wie die eigene Westentasche – obwohl sie immer größer werden. Weniger Post bedeutet mehr Adressen pro Zusteller, die es abzuklappern gilt. Aktuell fallen über 2.000 Haushalte in seinen Zuständigkeitsbereich.
Unbemerkt durch die Straßen Wiens kommen wir nicht. Die Kollegen von der MA 48 grüßen uns, Bewohner wollen sich mit ihrem Postler unterhalten. Man ist sozusagen Augen und Ohren des Grätzls, schlussfolgere ich. Gratzl lacht: „Als Zusteller erfährt man so einiges.“ Man weiß, wo man öfter anläuten muss und wo man es gar nicht zu versuchen braucht, meint er. „In dem Haus ist jemand verstorben“, erzählt er beim Verteilen der Sendungen und dann sprudelt es plötzlich aus ihm heraus: „Da drüben sind Leute auf Urlaub. Sie sind unglaublich freundlich, geben an Weihnachten immer ein Trinkgeld. Und da drüben gibt es einen Haushalt, der einmal zwanzig Strafzettel auf einmal bekommen hat.“
Auf seine Schlüsse kommt er teils selbst. Anderes wird ihm schlicht erzählt. Etwa jetzt, als wir mit einem eingeschriebenen Brief an einer Tür klopfen und eine andere Person öffnet. „Der ist nicht da, der liegt seit Wochen auf der Intensivstation“‚ sagt sie. Also gehen wir ohne Unterschrift, aber mit Brief in der Tasche. Manchmal wird in solchen Situationen diskutiert, erzählt Gratzl. „Aber, wenn der Empfänger nicht da ist, dürfen wir RSa-Briefe nicht einmal dem Ehepartner geben.“ Da müsse man einfach hart bleiben. Sonst sind die Aufgaben bei der Zustellung überschaubar. Briefe und Werbung kommen in die Postfächer, Paketboxen werden kontrolliert und Auffälliges, etwa zu volle Briefkästen, wird notiert. Pausen werden zwischendurch gemacht. Bei dieser Hitze sei ein kleiner Sprung in den Supermarkt normal. Und WC-Pausen? „Das hat jeder Zusteller für sich eingeplant. Es gibt Cafés, Schulen oder Firmen, mit denen man sich abspricht.“
Die Gefahren
Klingt alles durchgetaktet, es geht auf Zeit. 15,4 Sekunden braucht Gratzl, um dreißig Postfächer zu befüllen, sagt die Stoppuhr. Ich als Laie probiere dasselbe. Und brauche eine Minute und dreißig Sekunden – sechs Mal so lange.
„Nicht schlecht für den Anfang“, lobt Gratzl trotzdem. Er habe schon schlimmere erste Versuche erlebt. Erst vor ein paar Monaten hat ein Praktikant sich an einem Briefkasten in einem Wohnhaus verletzt: „Er hat vergessen, dass manche diebstahlgeschützt sind und Zähne haben.“ Eine blutige Geschichte, die bis heute – wortwörtlich – Spuren hinterlassen hat.
Nach über 10.000 Schritten in der prallen Sonne ist noch kein Schichtende in Sicht – aber dafür etwas anderes: Eine wohlgenährte Hündin. Ob sie das Klischee erfüllen und uns jagen wird? Sie sprintet los, aber nur, um sich ihr Leckerli von Robert Gratzl zu holen. Eine Tradition, die sie seit Jahren pflegen. Und jetzt lerne ich ein Geheimnis des Postlers kennen: Wo sich das Fach für schnelle Snacks im Post-Wagerl versteckt.
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