Die Partydroge als Medikament: Wie Ketamin in Österreich verschrieben wird
Hannah G. (Name von der Redaktion geändert) steht vor der Praxis von Dr. Thomas Platz und drückt die Klingel. Ihre Hände schwitzen, ihr Herz rast. Sie ist nervös. Gleich wird sie zum ersten Mal eine Ketamin-Behandlung bekommen. 56 mg Esketaminhydrochlorid steht auf dem transparenten Fläschchen.
Thomas Platz ist seit vielen Jahren Psychiater und Psychotherapeut. Immer wieder hat er Patientinnen und Patienten, die auf keine Medikamente ansprechen und bei denen auch die Psychotherapie „nicht greift“, erzählt er. Platz spricht in dem Fall von „Menschen mit sogenannter therapieresistenter Depression“.
Weil er ihnen dennoch helfen möchte, beginnt er zu recherchieren: „Ich habe mich umgehört und herausgefunden, dass es in den USA schon eigene Ketamin-Kliniken gibt“, erklärt Platz. Gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen reist der Psychiater nach Amerika und sieht sich die Einrichtungen vor Ort an. Vor rund sechs Jahren führt er die Ketamin-Therapie dann selbst in Wien und in Klagenfurt ein. „Ich habe laufend Patienten und Patientinnen, die die Ketamin-Therapie in Anspruch nehmen, und zu 80 Prozent ist diese auch erfolgreich“, sagt Platz.
Ketamin ist ein Narkotikum und somit auf Rezept in der Apotheke erhältlich. Es unterliegt in Österreich nicht dem Suchtgiftmittelgesetz. Für einen Facharzt oder eine Fachärztin ist der Off-Label-Gebrauch eines Medikamentes von der Gesundheitsbehörde gestattet.
Thomas Platz sagt: „Inzwischen ist es auch längst so, dass sowohl die europäische als auch die österreichische Arzneimittelbehörde Ketamin zur Verwendung bei der Therapie von therapieresistenten Menschen anerkannt haben.“
Hannah G. hört zum ersten Mal von Therapien mit Einsatz von psychedelischen Substanzen, als sie während des Studiums in den USA lebt. Sie interessiert sich für das Thema, liest Bücher wie „How to change your mind“ von Michael Pollan über die neueste Forschung in diesem Bereich.
Schon damals leidet sie unter Ängsten und leichten Depressionen. Als sie nach rund acht Jahren wieder zurück in ihr Heimatdorf nach Kärnten kommt, hat sich ihr Zustand noch einmal verschlechtert. Sie bekommt Panikattacken, und auch ihre Depressionen werden schlimmer. Doch weder Antidepressiva noch kognitive Verhaltenstherapie können ihr helfen. Gemeinsam mit ihrem Mann sucht sie im Internet nach alternativen Therapieangeboten.
Sie stoßen auf die Homepage des Psychiaters Thomas Platz und erfahren, dass er Psychotherapie mit dem Einsatz von Ketamin anbietet - und zwar in Wien und in Klagenfurt. „Da habe ich mir gedacht, das kann kein Zufall sein“, erinnert sich die heute 37-Jährige.
Termin für die erste Ketamin-Behandlung
Sie macht sich einen Termin für ein Erstgespräch aus. Danach geht alles schnell: Der Doktor erhebt eine Anamnese, klärt Hannah G. über die Ketamin-Therapie auf und führt ein Gesundheits-Check-up durch. Sie unterschreibt eine Einverständniserklärung und macht sich einen Termin für die erste Ketamin-Behandlung aus.
Hannah G. macht es sich auf einer Relaxliege bequem, ihre Augen sind mit einer Maske bedeckt, die Ohren mit Kopfhörern. Doktor Platz tropft Hannah das Ketamin in den Mund. Sie erinnert sich, dass sie nach circa zehn Minuten bereits etwas gespürt hat: „Mir wurde ganz warm, etwas schwindlig und mein Körper wurde schwer.“
Eine Art Erweiterung des emotionalen und kognitiven Raums
Der Psychiater beschreibt den „Flow“ so: „Es ist eine Art Erweiterung des emotionalen und kognitiven Raums, auch die Körperwahrnehmung kann sich ändern. Es können Erinnerungen auftauchen, die Verarbeitungsbreite von Erinnerungen an bestimmte Ereignisse öffnet sich.“
Das bestätigt auch Hannah G., die seit Oktober 2023 in Behandlung bei Doktor Platz ist. „Es gab Sessions, da kamen Kindheits-Erinnerungen hoch, die ich nachher plötzlich viel besser einordnen und anders verarbeiten konnte.“
Eine richtige Verbesserung habe Hannah G. nach ca. drei Monaten wöchentlicher Behandlung verspürt. „Meine Ängste ließen nach, und ich habe mich insgesamt positiver und wohler gefühlt“, erzählt sie.
Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München und des Weizmann Institute of Science in Israel hat die Wirkungsweise von Ketamin bei Depressionen untersucht.
Das Ergebnis: „Das ursprünglich als Narkotikum eingesetzte Ketamin wurde in den vergangenen Jahren als Antidepressivum bei behandlungsresistenten Patienten genutzt. Eine Einzeldosis führt innerhalb weniger Stunden zu einer schnellen antidepressiven Reaktion. Die Wirkung von Ketamin hält nach dem biochemischen Abbau im Körper mehrere Tage lang an. Im Gegensatz dazu wirken ‚herkömmliche‘ Antidepressiva erst nach Wochen. Zudem müssen Patienten sie täglich einnehmen, um die positive Wirkung aufrechtzuerhalten.“
Erfahrungswerte haben sich sprunghaft vermehrt
Thomas Platz erklärt, dass die Erfahrungswerte sich in den vergangenen Jahren sprunghaft vermehrt haben, und auch die Anwendungsbereiche immer breiter geworden sind: „Auch Angst- oder Zwangsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) oder sogar somatoformen Störungen können damit behandelt werden. Heute war ein Patient mit einem schweren Kopfschmerzsyndrom bei mir, er hat das erste Mal eine Ketaminbehandlung bekommen.“
Am Allgemeinen Krankenhaus (AKH) der Stadt Wien gibt es seit mehreren Jahren eine Spezialambulanz für Patienten mit therapieresistenter Depression. Leiter ist Professor Lukas Pezawas. Auch dort kommt in der Behandlung unter anderem Ketamin zum Einsatz: „Wir haben bereits weit über 100 Patientinnen und Patienten erfolgreich damit behandelt“, bestätigt Pezawas.
Ein angenehmes Setting ist wichtig
Thomas Platz therapiert derzeit um die 10 bis 15 Patientinnen und Patienten mit Ketamin. Wichtig ist vor allem ein angenehmes Setting, erklärt er: „Es gibt bei mir immer ein Vor- und Nachgespräch. Ich frage dann: Wie haben Sie den Flow erlebt? Haben Sie sich wohlgefühlt? Ich kombiniere die Ketamin-Therapie also mit Psychotherapie.“
Negative Erfahrungen seien sehr selten, sagt Platz. Dennoch kommen sie vor: „Ich hatte einen Patienten, der hat eine Angstsymptomatik entwickelt. Ich bin darauf aber vorbereitet, gebe dann entsprechende Mittel. Ich habe immer ein Notfallsegment in der Praxis.“
Ketamin in der Partyszene
Und wie begegnet man den gängigen Vorurteilen? Schließlich wird Ketamin auch häufig in der Partyszene als Droge eingesetzt. „Ja, hier wird Ketamin meist in kristalliner Form durch die Nase gezogen. Das ist leider oft verunreinigt und wird in zu hohen Dosen konsumiert. Man kann das nicht mit dem therapeutischen Einsatz vergleichen“, meint Platz.
In der Ketamin-Therapie wird meist mit 56 Milligramm angefangen: „Man schaut dann, wie die Reaktion der Patientinnen und Patienten ist und kann die Dosis auf bis zu 200 mg erhöhen“, so der Psychiater. Eine Abhängigkeitsgefahr bestünde in diesen Dosierungen nicht.
Ein Weg zurück in die Normalität
Hannah G. setzt ihre Ketamin-Therapie fort, allerdings nicht mehr wöchentlich. „Dadurch, dass es mir schon viel besser geht, brauche ich die Sessions nur bei Bedarf.“ Im Fall der 37-Jährigen war die Therapie jedenfalls ein Weg zurück in die Normalität. Sie kommt seit der Therapie ohne Medikamente aus: „Ich würde es absolut jedem weiterempfehlen. Für mich war die Behandlung ein großes Geschenk.“
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