Weniger selbstgerecht

Am Horizont tauchen Krisenszenarien in Europa auf, auch Österreich ist keine Insel der Seligen.
Martina Salomon

Martina Salomon

Verfolgt man heimische Debatten, so geht es niemals darum, wie man das Haus Österreich wetterfest machen könnte für mögliche kommende Stürme. Aber alle Indikatoren der Weltwirtschaft zeigen: Die lange Party geht langsam zu Ende. Die Gefahr einer Spaltung der EU ist so real wie nie zuvor: durch den in wenigen Tagen (!) bevorstehenden (harten, weichen oder gar nicht) Brexit, durch unterschiedliche ökonomische Geschwindigkeiten und zunehmendes ideologisches Auseinanderdriften.

China wird sich mit dem Projekt Seidenstraße vielleicht eine wirtschaftliche Einbahnstraße nach Europa schaffen. Die USA arbeiten daran, Deutschland mit dessen starker Exportwirtschaft zu schwächen, was auch das vielfach abhängige Österreich treffen wird. Doch das regt hierzulande niemanden auf. Wir diskutieren lieber über neue Feiertage oder darüber, wie "böse" Konzerne, Freihandel und Migration sind, statt strategisch zu denken: Welche (Aus-) Bildung ist essenziell? Welche (qualifizierte!) Zuwanderung brauchen wir? Und worauf setzen wir, wenn die konventionelle Autoindustrie durch US-Zölle, Elektro-Boom und selbst eingebrockte Imageprobleme geschwächt ist? Darauf, das moralisch tollere Land zu sein, in dem alle Rad fahren, richtig gendern und keine Plastiksackerl mehr haben? Dummerweise wird das zur Wohlstandssicherung nicht reichen.

Ausgerechnet ein Sozialdemokrat hat provokant gesagt, was Sache ist in Europa: "Wir sind die letzten Vegetarier der Weltpolitik in dieser Welt der Fleischfresser. Wenn die Briten gehen, dann glauben alle, wir seien Veganer", sagte Deutschlands Ex-Außenminister Sigmar Gabriel im Presse-Interview. Und er hat vermutlich recht. Wir sollten die Wohlfühlzone der moralischen Selbstüberhöhung verlassen und die Augen für die wahren Herausforderungen öffnen.

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