Noch hallen sie frisch im Ohr, die politischen und wirtschaftskammerlichen Appelle, doch lieber regional zu kaufen als beim Versandhandel aus den USA. Jetzt also los: Die Geschäfte sind wieder offen, Weihnachten naht, das Kaufhaus Österreich geht immer noch nicht. Endlich also kann man die Bankomatkarte auspacken und mit rot-weiß-rot leuchtendem Gewissen shoppen gehen.
Oder etwa nicht?
Seit Tagen schon ist auch die Regierung in virologischer Duckhaltung vor dem Wiederaufsperren. Wichtig ist, dass der Handel aufsperrt, zweifelsohne für die Zukunft des Landes. Kaum hat auch der Kanzler das gesagt, rückt der Innenminister aus – und stellt verbal die Polizei vor die Geschäfte. Damit das Kaufräuschchen ja kein Superspreader-Event werde.
Also soll man shoppen? Nur ein bisschen? Kein Sonderangebot kaufen, sondern nur zum Regulärpreis? Oder lieber doch online kaufen? Der 8. Dezember wird zeigen, wie die Bevölkerung das sieht.
Aber das ist nicht die einzige moralische Zwickmühle, in der man sich am Ende des strengen Lockdowns wiederfindet. Nehmen wir nur die Schulen: Geschlossene bringen Bildungslücken, Ausgrenzungsprobleme und Betreuungsherausforderungen mit sich; man ist also tunlichst heilfroh, dass auch die Schulen wieder offen haben. Oder doch nicht? Immer mehr Experten sehen hier sehr wohl Ansteckungsgefahren. Manch einer wird sogar gefunden haben, dass der zweite Distance-Learning-Durchgang eh ganz gut funktioniert hat. Und seine Kinder, frisch aufmaskiert, mit mulmigem Gefühl aus dem Haus schicken.
Oder Weihnachten: Wird irgendwie erlaubt sein. Was auch heißt, dass es nicht verboten ist und manch’ Verwandter deshalb umso beharrlicher auf einer gemeinsamen Feier bestehen wird. Soll man?
Die ohnehin Maßnahmenfolgsamen gehen massentesten und gegebenenfalls brav in Quarantäne. Die Verleugnungs- und sonstigen Problemfälle weder noch.
Man diskutiert ergeben, ob es jetzt die Menschen vom Balkan oder die einheimischen Touristen waren, die das Virus bei der Rückreise im Sommer irrtümlich eingepackt haben. Was aber hilft das eine oder das andere bei der jetzigen angespannten Situation in den Spitälern?
Und: Kann man die langen Haare behalten oder muss man zum Friseur?
Das Surfen auf der zweiten Welle ist kompliziert, weil die Interessen immer augenfälliger auseinanderklaffen – und jeweils nicht falsch sind. Was also ist jetzt der virologische Imperativ für die nächsten Wochen?
Die Antwort ist so banal wie aufdringlich wie wichtig: Man wird sich noch monatelang auf das notwendige Minimum beschränken müssen, an Kontakten, an Risiken. Und mit sich selbst vernünftig und streng klären, was dieses Minimum ausmacht.
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