Pro&Contra: Soll ich die Kinder trotzdem in die Schule bringen?
Richard Grasl
17.11.20, 12:20Bernhard Gaul
17.11.20, 12:20Schul-Lockdown, doch Betreuungsangebot für Kinder vor Ort. Das bereitet Direktoren Kopfzerbrechen: Personalmangel, hoher organisatorischer Aufwand. Und dennoch hat die Regierung verordnet, die Betreuung anzubieten - auch wenn noch vollkommen unklar ist, wie viele Eltern die Angebote der Schulen für ihre Kinder in Anspruch nehmen werden.
„Soll ich die Kinder trotzdem in die Schule bringen?“, haben sich Bernhard Gaul und Richard Grasl gefragt:
Pro: "Homeoffice und Homeschooling gehen sich nebeneinander nicht aus"
Natürlich sollten die Kinder besser daheim bleiben, um die Infektionsrate zu senken. Es ist aber durchaus verständlich, dass viele Eltern ihre Kinder dennoch in die Schule schicken.
Und nur um das richtig zu verstehen: Unsere Schulkinder sind zwar keine Treiber, aber doch maßgeblich für das Infektionsgeschehen, weshalb kein Regelunterricht stattfinden kann? Berufstätige dürfen sich aber nicht frei nehmen, um ihre Kinder selbst zu betreuen, also ist die Betreuung an der Schule doch nicht so gefährlich? Widersprüche über Widersprüche.
Erstens: Was jedenfalls fehlt, ist ein unmissverständlicher Rechtsanspruch auf Sonderurlaub. Den gibt es aber nicht. Das war der Arbeitsministerin und dem Wirtschaftskammer-Boss dann doch nicht so wichtig.
Zweitens: Im Bildungsministerium weiß jeder, dass die sozial Schwachen die großen Bildungsverlierer der Pandemie sein werden. Homeoffice in einer Miniwohnung mit nur einem Tisch, alter PC, Internetzugang über teuer zugekaufte Datenpakete – so sieht die Realität vieler Familien aus. Homeoffice und Homeschooling gehen sich nebeneinander nicht aus.
Drittens war von vornherein klar, dass sich Betreuung an den Schulen und parallel dazu „Distance Learning “ nicht ausgehen kann. Knapp 2.000 Lehramtsstudenten einzusetzen klingt zwar gut, in Österreich gibt es aber 50.000 Klassen. Das heißt, die Lehrer müssen jene Schüler betreuen, die kommen, die daheim werden das Nachsehen haben. Dabei wäre es so wichtig, dass die Kinder der Systemerhalter (Kliniken bis Supermärkte), die sich nicht freinehmen sollen, sich auf eine gute Betreuung verlassen können. Mit dem Aufruf, jedes Kind kann kommen, ist niemandem geholfen.
Contra: "Wenn es aber nicht unbedingt sein muss, dann bitte nicht"
Also nur um das richtig zu verstehen: Es gibt viele Gründe, warum Kinder knapp sechs Stunden lang in engen Schulklassen sitzen sollen, wo man die Klassenluft förmlich spüren kann. Dass sie in engen Bussen, Zügen oder U-Bahnen an- und abreisen, wo der Babyelefant zu einer traurigen Karikatur wird.
Ich verstehe jene Eltern (vor allem Mütter, aber auch Väter!), die im Homeoffice alle fünf Minuten von Fragen ihrer Kleinsten gestört werden. Fragen, die alle fünfzehn Sekunden wieder gestellt werden. Immer und immer wieder. Ich verstehe auch, dass der Lernerfolg geringer sein kann, dass sich ein paar Prozent des Lehrstoffs heuer nicht mehr ausgehen.
Aber: Geht hier eine Generation zugrunde? Lässt sich das nicht organisieren? Wer aus beruflichen oder räumlichen Gründen gar nicht anders kann, der soll die Kinder natürlich in die Schulen bringen. Ohne schlechtes Gewissen. Wenn es aber nicht unbedingt sein muss, dann bitte nicht.
Denn all das ist wohl kein Vergleich zu Menschen, die sterben müssen, weil sie nicht mehr betreut werden können. Für die Angst alter Menschen und derer Angehöriger. Für das, was Ärzte und Pfleger erleben. Vergleichen Sie einen Arzt, der über Leben und Tod entscheiden muss, mit der Frage, ob Homeschooling so gut funktioniert wie Präsenzunterricht. Fragen Sie Menschen, die gerade ihre Jobs verlieren. Glauben wir in Krisenzeiten denen, die sagen, dass Schüler infektiös sein können wie dem deutschen Star-Virologen Christian Drosten.
Wir reden von drei Wochen, vielleicht fünf, vielleicht weiteren fünf im Jahr 2021. Herr Bildungsminister, bitte geben Sie eine klare Anweisung, nämlich im Zweifel daheim zu bleiben. Und unterbinden Sie bitte, dass diese Regel unterlaufen wird.
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