Grüne gegen Kurz: Wie der Lockdown die Nerven in der Koalition strapaziert

Als Rudolf Anschober am Montag vor laufenden Kameras gefragt wurde, wie nun die von Bundeskanzler Sebastian Kurz am Vortag angekündigten Corona-Massentests nach slowakischem Vorbild vonstattengehen sollen, da machte der Gesundheitsminister keinen Hehl daraus, dass er ziemlich skeptisch ist.
Massentests? An der gesamten Bevölkerung? Das sei, so Anschober sinngemäß, wenn überhaupt, nur dann sinnvoll, wenn man diese Tests wiederholen könne; und im Übrigen sei man gerade dabei, die Erfahrungen der slowakischen Kollegen zu sammeln.
Um Missverständnissen vorzubauen: Der Gesundheitsminister hält zwar sehr viel davon, flächendeckende Covid-19-Tests zu organisieren; und er widerspricht auch nicht der Darstellung, man habe dies regierungsintern besprochen und dazu die eine oder andere Video-Konferenz abgehalten.
Der springende Punkt ist nur: Bis Sonntag sind die Grünen ganz offensichtlich davon ausgegangen, dass man für die Massentests zuerst einen Plan entwirft, den man, zweitens, gemeinsam präsentiert.
Dass der ÖVP-Chef dieses Vorhaben nun allein und vorab im Fernsehen ventiliert hat, wird daher beim Juniorpartner mit Zähneknirschen kommentiert. „Der Kanzler hat halt wieder mal ein Thema gebraucht“, hieß es am Montag leicht abschätzig im grünen Regierungsteam.
In normalen Regierungszeiten wären innerkoalitionäre Abstimmungsprobleme dieser Art vermutlich nicht weiter erwähnenswert. Doch der Lockdown versetzt die Koalition in den permanenten Ausnahmezustand. Und zuletzt haben sich die Beziehungsprobleme in der türkis-grünen Regierungsmannschaft spürbar verschärft.
Exemplarisch lässt sich das an einem der emotionalsten Themen der letzten Tage zeigen: den Schulschließungen. Übereinstimmend heißt es bei Türkis wie Grün, dass Kanzler Kurz viel früher einen härteren Lockdown angepeilt hat – das Schließen von Kindergärten und Schulen inklusive.
Demgegenüber redeten Länder, ÖVP-nahe Wirtschaftsvertreter und die Grünen den offenen Schulen das Wort. „Es wurde argumentiert, dass die Schulen auf keinen Fall schließen dürfen, so lange der Handel offenbleibt“, erzählt ein Sitzungsteilnehmer. „Wie hätte man der Bevölkerung auch erklären können, dass die Schüler am Vormittag nicht in die Schule gehen dürfen, am Nachmittag dann aber zum Einkaufen mit den Eltern ins Shopping Center fahren?“
So kam der Lockdown Light vorerst ohne Schulschließung aus.
Die Grünen und die erwähnten Lobbyisten machten sich weiter für die offenen Schulen stark, selbst ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann argumentierte gegen die Kanzler-Linie.
„Das Ergebnis war, dass Faßmann bei entscheidenden Sitzungen nicht am Tisch saß“, berichtet ein verärgerter Vertreter eines VP-geführten Bundeslandes.
Am Ende offenbart die Frage der Schulschließung in der Pandemie eine der großen ideologischen Bruchlinien in der Koalition.
„Wir glauben, dass die Schule die Schüler und Familien auffangen muss – gerade in einer Krise“, sagt ein grünes Regierungsmitglied.
Demgegenüber vermittle das Kanzlerteam bisweilen den Eindruck, „dass jede Familie in Österreich ein Haus mit Garten hat, und dass die Mütter ohnehin daheim sind, um die Kinder zu unterrichten. Das ist für uns entkoppelt von der Lebensrealität der Menschen.“.
Die Konsequenz des ungelösten Konflikts: Die Schulen sind zu – aber auch nicht. Es gibt zwar keinen Regelunterricht. Aber Eltern, die mit „Home Schooling“ überfordert sind, können die Kinder „tageweise“ bringen und müssen zudem nicht nachweisen, dass sie in „systemrelevanten“ Jobs arbeiten.
Zyniker in der Regierung behaupten, die nicht abgesprochene Ankündigung der Massentests sei nur die Revanche des Kanzlers dafür, dass die Grünen die Schulschließung torpediert hätten.
Ob’s stimmt? Was stimmt, ist, dass die jüngsten Regierungszores auch einen „Gewinner“ gebracht haben: Denn als Mittler trat einer in den Mittelpunkt, den man im grünen Universum lange als „Hardliner“ empfand: Innenminister Karl Nehammer. „Der Karl“, so berichtet ein grüner Sitzungsteilnehmer, „hat mehrfach eingeworfen, dass wir und die ÖVP unterm Strich eh das Gleiche wollen. Fast wie ein Mediator.“

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