Soll Israel am Eurovision Song Contest teilnehmen dürfen? Ein Pro & Contra:
PRO
"Wenn Fremde kommen, kommen sie in dein Haus, töten euch alle und sagen: 'Wir sind unschuldig.'" Diese Zeilen entstammen dem Text des ESC-Siegerlieds 2016, gesungen von der ukrainischen Künstlerin Jamala. Ihr Lied handelt von ihren Großeltern, die von Stalin deportiert wurden. Zutreffend wäre dieser Text auch in Bezug auf das unmenschliche und blutige Massaker durch die Hamas am 7. Oktober. Doch dazu später mehr.
Es ist nicht das erste Mal, dass irgendwelche Künstler fordern, Israel vom ESC auszuschließen. Als er 2019 in Israel stattfand, riefen sie und propalästinensische NGOs zum Boykott auf. Wohlgemerkt sprechen wir von einer Veranstaltung, die ob ihrer nicht selten queeren Teilnehmer wohl kaum im Gazastreifen abgehalten werden könnte.
Auch heuer fordern irgendwelche Künstler aufgrund des Gazakriegs einen Ausschluss Israels. Dass diesem für die palästinensische Zivilbevölkerung schrecklichen Krieg ein unfassbar widerwärtiges Massaker vorausgegangen ist, scheint nicht erwähnenswert zu sein. Die jüngste Kontroverse bezieht sich auf das Lied der israelischen Sängerin Eden Golan: Ihr Lied "Oktoberregen" könne zu politisch sein. Festgemacht wird das daran, dass im Text das Wort "Blumen" vorkommt, und dass gefallene israelische Soldat so genannt würden.
Derzeit wird der Text von der European Broadcasting Union geprüft. Israel hatte bereits angekündigt, den Text im Falle einer Nichtzulassung nicht zu ändern und auf den Song Contest zu pfeifen. Völlig zurecht!
Armin Arbeiter ist Redakteur der Außenpolitik.
CONTRA
Für einen Abend Politik, Kriege und Weltlage vergessen, und ein Zeichen für das Leben, Musik und Frieden setzen – was für eine naive Vorstellung.
Der ESC war schon immer politisch. Etwa, als Nicole 1982 mitten im Kalten Krieg mit "Ein bisschen Frieden" den Bewerb gewann; als 1969 dem spanischen Vertreter verboten wurde, in Katalanisch zu singen; als Griechenland 1975 nicht teilnahm, weil die Türkei mitmachte (ein Jahr später war es umgekehrt). Seit 2021 darf Belarus wegen Verstöße gegen Menschenrechte und Pressefreiheit nicht mehr teilnehmen; seit seinem Angriffskrieg ist Russland ausgeschlossen. Und natürlich war auch der Sieg der Ukraine 2022 mit einem Lied, das in sozialen Medien zur Untermalung patriotischer Videos genutzt wurde, ein politisches Zeichen.
Israels politische Botschaft ist offensichtlich: Das Lied heißt "October Rain", ein direkter Bezug auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023. Allein deswegen müsste es der ESC ausschließen, solange er sich als "unpolitisch" verkauft.
Nein, mit einem Ausschluss Israels relativiert man weder das Morden der Hamas noch das Festhalten der Geiseln und die grausamen Vergewaltigungen. Stattdessen würde der von seinen Kritikern als "scheinheilig" verachtete Westen (für den der ESC symbolisch steht) zeigen, dass er nicht mit Doppelmaß misst und Israels Kriegsführung in Gaza verurteilt.
Eine andere Option gibt es übrigens auch: neben einer israelischen auch eine palästinensische Stimme einzuladen und die Bühne für eine wirkliche Botschaft des Friedens zu nutzen.
Caroline Ferstl ist Redakteurin der Außenpolitik.
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