Song über Hamas-Massaker: Warum Israel wohl nicht zum Song Contest fährt
13. Mai 2023, Schweden im Glück: Loreen gewinnt den Song Contest und macht möglich, dass das Land ausgerechnet zum 50. Jubiläum des „Waterloo“-Triumphs von Abba den Singwettbewerb austragen darf. Das ließ Erwartungen auf eine ausgelassene Feier im Mai 2024 aufkommen. Die werden nun schon im Vorfeld verhagelt. Oder eigentlich angeregnet. „October Rain“ heißt nämlich der Beitrag von Israel, mit dem die European Broadcasting Union (EBU), die die Show ausrichtet, gerade ein Problem hat.
Die Vorgeschichte: In den vergangenen Wochen formierte sich Protest gegen eine Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest (ESC) in Schweden, Norwegen, Dänemark sowie Finnland und Island.
Boykott-Aufrufe
In einer Petition schrieben etwa 1.000 Musiker aus Schweden, darunter bekannte Namen wie Robyn und Fever Ray, an die Organisatoren des Events, das ab 7. Mai in Malmö stattfinden soll. Sie kritisierten „die Heuchelei im Angesicht der humanitären Krise in Gaza“. In Finnland richtete sich der Protest gegen den TV-Sender Yle. Dieser solle auf die EBU Druck machen, um zu verhindern, dass „ein Land, das Kriegsverbrechen begehe und weiterhin eine militärische Besetzung betreibe, eine öffentliche Bühne bekomme, um sein Image durch Musik aufzupolieren“.
Es gäbe schließlich Präzedenzfälle: Russland wurde nach der Invasion in der Ukraine 2022 ausgeschlossen. Freilich hatte es damals Widerstand auch gegen diese Ausladung aus dem Norden Europas gegeben, etwa aus Finnland. Damals lautete die Begründung der EBU: „Die Entscheidung spiegelt die Sorge wider, dass die Aufnahme eines russischen Beitrags in den diesjährigen Wettbewerb angesichts der beispiellosen Krise in der Ukraine den Wettbewerb in Misskredit bringen könnte.“
Rückzug wahrscheinlich
Die Sorge hat die EBU bis vor kurzem wegen Israel nicht gehabt: Mit dem Hinweis darauf, dass der Song Contest eine unpolitische Veranstaltung sei, wurde die Teilnahme Israels bestätigt. Genau diese Selbstbeschreibung des ESC könnte nun dafür sorgen, dass Israels Vertreterin Eden Golan doch nicht auftreten wird. Der Titel ihres Songs, „October Rain“, ist möglicherweise keine harmlose Anspielung auf einen ein Monat später datierten Guns’n’Roses-Hit. Die Vermutung liegt nahe, dass das Lied vom Pogrom der Hamas am 7. Oktober handelt.
Das wiederum würde definitiv gegen diese ESC-Regel verstoßen: „Alle teilnehmenden Rundfunkanstalten einschließlich der ausrichtenden Rundfunkanstalt haben dafür Sorge zu tragen, dass innerhalb ihrer jeweiligen Delegationen und Teams alle erforderlichen Schritte unternommen werden, um sicherzustellen, dass der ESC in keinem Fall politisiert und/oder instrumentalisiert wird.“ Offiziell ist nichts außer dem Titel des Liedes bekannt, aber der israelische TV-Sender KAN befindet sich bereits in Gesprächen mit der EBU. Von israelischer Seite wurde schon mitgeteilt, dass man sich bei einer Ablehnung des Songs zurückziehen werde. Eigentlich hätte ein Land dann noch das Recht, einen zweiten Song einzureichen. Es erscheint plausibel, dass sich die EBU und Israel hier auf einen Teilnahmeverzicht einigen werden – eine Lösung, in der keiner das Gesicht verliert.
Politische Siege
Es ist nicht das erste Mal, dass die EBU Schwierigkeiten hat, den unpolitischen Charakter der Veranstaltung durchzusetzen. Aber zuletzt häufen sich die Anlässe. 2021 wurde Belarus wegen Verstößen gegen die Pressefreiheit ausgeladen. 2022 wurde Russland (mittlerweile kein EBU-Mitglied mehr) zwar ausgeschlossen. Aber die Ukraine gewann den Bewerb – was letztlich auch ein politisches Zeichen war, das aber die Jurys und Publikumsvoter gesetzt haben.
2015 darf zwar über den Genozid an den Armeniern gesungen werden und Jamala gewinnt 2016 sogar für die Ukraine mit ihrem Lied über die Vertreibung ihrer Vorfahren von der Krim. Aber Georgien bekommt 2009 den Weisel: Der Song „We don’t wanna Put In“ ist den Verantwortlichen zu deutliche Kritik an Russlands Präsident.
Spiegel politischer Spannungen
Eine neue Erfindung ist dieses „trojanische Pferd“ nicht. Der ESC war immer schon Spiegel politischer Spannungen. Schon als er noch Grand Prix de la Chanson hieß, wagten manche mehr – sogar Österreich. 1968 schickte man den Tschechen Karel Gott mit einem Lied über Nachbarn – eine subtile Unterstützung des Prager Frühlings.
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