Große Worte, traurige Realität
Konrad Kramar
12.09.24, 19:03Im für seinen herben Charme bekannten Wienerischen gibt es eine bewährte Formulierung, um Mahner, Prediger und übereifrige Ratgeber aller Art ins Leere laufen zu lassen: „Red’s in a Sackerl, i hör’s mir morgen an.“ Wenn in diesen Tagen in Brüssel wieder einmal Hauptsaison für große Reden und Pläne ist, kommt einem diese Redewendung in den Sinn. Liegen da in der EU-Zentrale nicht reichlich solcher Sackerl bereit, um zu deponieren, was da gerade auf großer Bühne ausgesprochen wurde?
Da durfte ein deutscher Mittelalterforscher das Ergebnis eines „strategischen Dialogs für die EU-Landwirtschaft“ präsentieren, dann war der Ex-Chef der Europäischen Zentralbank mit seinem Bericht über die „Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft“ dran. Wenn dann nächste Woche die neuen EU-Kommissare samt ihren absehbar großspurig formulierten Aufgabenbereichen präsentiert worden sind, ist Brüssel wieder einmal mit großen Worten mehr als gut versorgt.
Wer sich an denen sattgehört hat, kann sich zum Ausgleich den jüngsten Bericht des EU-Rechnungshofes genehmigen. Der liefert gerade einmal einen Rundblick über den Zustand des EU-Corona-Aufbaufonds: mit 800 Milliarden Euro nicht nur einer der größten EU-Geldtöpfe, sondern auch der erste, den die EU mit gemeinsamen Schulden finanziert hat.
Klimaprojekte, die mit dem Klima nichts zu tun haben, absurd überhöhte Kostenvoranschläge, verschleppte Projekte. Was da noch auftauchen würde, schaute man einmal genauer hin, lässt der Skandal in Italien erahnen, wo mit dem Geld, das eigentlich für den Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt werden sollte, ein Golfplatz gebaut wurde. Eine ernüchternde Bilanz.
Die EU ist groß im Formulieren ambitionierter Ziele und stolpert so oft in die Fußangeln der politischen Praxis, die ihr oft von den bockigen Mitgliedsländen ausgelegt werden, die sehr gern Geld nehmen – und sehr ungern die dazugehörigen Projekte und Reformen umsetzen.
Wie es in diesem Europa der zwei Realitäten wirklich aussieht, macht sich in diesem Brüsseler Herbst unangenehm bemerkbar. Eine Energiewende, die von China und seinen Solarzellen abhängig ist, eine Autoindustrie auf dem Pannenstreifen, grüne Großprojekte, die wieder kleingeredet werden, und eine Aufrüstung Europas, bei der man gerade merkt, dass sie niemand bezahlen will und kann.
Wirtschaftsreformen hat Ursula von Leyen auf ihr Banner für die zweite Amtszeit geheftet. Neue Ziele braucht sie eigentlich nicht. Vom Ausbau der Energietrassen über die Beschleunigung der Eisenbahnen bis zur Abkehr von einer Agrarförderung, die immer noch den Flächenfraß statt die nachhaltige Versorgung Europas mit Lebensmitteln fördert, sind die alten noch nicht einmal im Ansatz erledigt.
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