Selbst viele heimische Nicht-Fußballfans wurden bei dieser EM von der Begeisterung angesteckt. Das österreichische Team war so gut, dass man auf Siege hoffen konnte, ohne als Traumtänzer dazustehen. Beim Public Viewing rückten alle ein bisschen näher zusammen, die Feierstimmung griff um sich.
Die Europameisterschaft könnte also – nachdem sie nächste Woche endgültig vorbei ist – als ein Event in die Geschichte eingehen, an das man sich gerne zurückerinnert. An etwas, das Euphorie ermöglicht hat. Trotz Kriegen, Teuerung und einer unsicheren (Polit-)Zukunft.
Wäre da nicht ein großes Aber.
Unter dem Deckmantel der sportlichen Euphorie haben sich gravierende gesellschaftliche Missstände versteckt, die noch da sein werden, wenn der kurzlebige Siegestaumel längst Vergangenheit ist.
Da wäre etwa die Warnung des Frauenrechtskomitees der Vereinten Nationen, „UN Women“: Demnach würden die Fälle von häuslicher Gewalt während Sportereignissen ansteigen. Untermauert wird das durch eine groß angelegte Studie aus England. Laut dieser stieg die häusliche Gewalt um 38 Prozent, wenn die englische Nationalmannschaft verlor, selbst bei einem Sieg stieg sie um 26 Prozent. Die Erhebung ist zehn Jahre alt. Die Datenlage ist überschaubar, die Maßnahmen dagegen sowieso.
An der Anzeigenstatistik erkennt man in Österreich aber nach wie vor einen Anstieg, auch wenn die Dunkelziffer noch viel höher sein dürfte. Das Schaffen einer klaren Datenlage und darauf aufbauend Bewusstseinskampagnen gegen alle möglichen Formen von Gewalt wäre im Nachgang der EM also eine dringend zu erledigende Hausaufgabe.
Ein anderer Aspekt: Wann kippt der während eines Spiels verständliche Nationalstolz in Extremismus?
Der türkische Fußballnationalspieler Merih Demiral wurde gesperrt, nachdem er beim Österreich-Spiel den Wolfsgruß gezeigt hatte, der in der Regel für das Sympathisieren mit der rechtsextremen Ülkücü-Bewegung steht. Im Stadion am Samstag zeigten dann Tausende Fans den Wolfsgruß und ein türkischer Fanmarsch wurde deswegen von der Polizei gestoppt. Welche Macht gemeinschaftlich gezeigte Gesten haben, zeigt die eigene Geschichte.
Die Geste war eine Provokation. Und sie spielt jenen Mächten in die Hände, die die Gesellschaft spalten wollen. Befeuert durch die aufgeheizte Stimmung in der Integrationsfrage (und den fehlenden Lösungen) fiel es einigen zu leicht, alle Türken inklusive jenen, die mit extremen Tendenzen nichts zu tun haben, über einen Kamm zu scheren und sie zum Hassobjekt zu erklären.
Alldem gilt es entgegenzuwirken. Denn wer glaubt, dass sich nun alles in Wohlgefallen auflöst, der ist der eigentliche Traumtänzer.
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