EM und häusliche Gewalt: Wenn Fußballfans zuhause zuschlagen
Alkohol, Emotionen und Fußball: Oft braucht es nicht viel, bis Fan-Ekstase in Aggression umschlägt.
Das Frauenrechtskomitee der Vereinten Nationen, „UN Women“, warnt nun davor, dass die Fußball-Europameisterschaft die Fälle von häuslicher Gewalt ansteigen lässt.
Diese Warnung untermauert auch eine Studie aus England. Die großangelegte Untersuchung zeigt, dass der Höhepunkt des Gewaltanstiegs im Schnitt zehn Stunden nach dem Spiel passiert (siehe Infobox unten).
"Gekränkte Ehre"
Zahlen aus Österreich gibt es dazu nicht. "Das liegt aber nicht daran, dass solche Fälle nicht passieren, sondern es wird einfach nicht untersucht. Gerade weil bei dieser EM die Erwartungen an die österreichische Mannschaft so hoch waren, war die Niederlage für viele Männer sicherlich sehr schwer zu verkraften", sagte Klaudia Frieben, Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings.
Viele Fans würden sich stark mit den Spielern identifizieren, umso stärker sei die Enttäuschung wohl für sehr viele Fußballbegeisterte gewesen, als ihre "Helden" vergangenen Dienstag frühzeitig aus der Fußball-Europameisterschaft ausschieden. "Wir kennen dieses Verhalten ja auch von anderen Gewalttaten gegen Frauen oder Femiziden, es geht dabei sehr oft um gekränkte Ehre. Die Emotion wird dann an der Frau ausgelassen", betonte Frieben.
Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Betretungsverbote, die im Juni in Wien verhängt wurden, über dem Durchschnittswert liegen. 361 Fälle wurden im Juni gemeldet, der Durchschnittswert liegt bei 337 Fällen pro Monat.
Mai mit meisten Betretungsverboten
Der Mai war mit einer 369 ausgesprochenen Betretungsverboten allerdings das Monat mit den meisten Fällen in diesem Jahr. "Eine auffallende Signifikanz wird bei Sportgroßveranstaltungen seitens der Wiener Polizei nicht festgestellt. Primäre Gründe liegen u.a. bekanntlich bei Sucht und Arbeitslosigkeit, sowie bei psychischen Erkrankungen", heißt es von der Polizei auf KURIER-Anfrage.
Untersuchung
Eine Analyse des „Centre of Economic Performance“ zeigt für Manchester einen Zusammenhang zwischen Fußballspielen, häuslicher Gewalt und Alkoholkonsum
Stichprobe
Die groß angelegte Studie wurde auf Basis von Anrufen bei Notfallhotlines und der Kriminalitätsstatistik der Polizei aus den Jahren 2012 bis 2019 erstellt
38 Prozent
Anstieg an häuslicher Gewalt verzeichnete eine zweite Studie aus England aus dem Jahr 2014, wenn die englische Nationalmannschaft bei Spielen verlor, um 26 Prozent bei einem Sieg
Auch wenn die Anzeigenstatistik ein wichtiger Indikator sei, ist allgemein bekannt, dass die Dunkelziffer bei Häuslicher Gewalt sehr hoch ist, so die Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings. "Wenn man es nicht anzeigt, wird man es nicht wissen. Viele Frauen lassen sich zum Beispiel anonym beraten, aber diese Fälle scheinen nirgends auf. Es gibt grundsätzlich keine offizielle Zählung von Gewalttaten gegen Frauen. Es gibt keine Auflistungen oder Studien, in welchem Zeitraum was passiert ist."
Appell an EM-Spieler
Frieben tritt seit Jahren dafür ein, häusliche Gewalt sichtbarer zu machen. Handlungsbedarf sieht die Expertin in diesem Zusammenhang auch bei den Nationalspielern sowie Fußballtrainern.
"So wie die Mannschaft jetzt gegen rechte Politik auftritt, so würde ich mir wünschen, dass man sich auch für Bewusstseinskampagnen gegen Gewalt an Frauen einsetzt. Wenn die Spieler an die Fans appellieren, nur weil wir verlieren, ist das kein Grund, eure Frauen zu schlagen, würden viele Männer darauf hören. Gerade weil viele Spieler so als Helden verehrt werden", sagte die Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings. Sinnbild sei für sie auch gewesen, dass die Spieler die österreichische Nationalhymne ohne den Zusatze "großer Töchter" gesungen haben.
Was Vorbildwirkung betrifft, stößt der Frauenrechtsexpertin noch ein anderes Thema sauer auf: Der Prozess rund um den deutschen Fußballspieler Jérôme Boateng, der vor kurzem beim LASK unterschrieben hat. Seine Exfreundin wirft ihm vor, sie in einem gemeinsamen Urlaub in der Karibik vor fünf Jahren attackiert zu haben. Sie sagt, Boateng habe ein Windlicht nach ihr geworfen, sie angespuckt, an den Haaren gezogen, mit beiden Händen ins Gesicht geschlagen und ihr in den Kopf gebissen.
"Warum setzt man so ein Zeichen?"
"Warum setzt man ein Zeichen und engagiert so einen Fußballspieler, wenn man nicht einmal genau weiß, wie das Verfahren ausgehen wird? Genau dann signalisiert ein Klub, es ist uns egal, ob der Gewalt gegen Frauen ausgelebt hat oder nicht."
Wichtig sei es aber, nicht nur den Fußball an sich oder Alkohol für Gewalt an Frauen verantwortlich zu machen. "Das sind begünstige Faktoren. Aber wenn ein Mann gewaltbereit ist, dann ist er das auch vor der EM und nach der EM."
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