Häusliche Gewalt: Die Bezirke mit den meisten Betretungsverboten
Unter „Häusliche Gewalt“ fallen verschiedene Delikte: Von Körperverletzung, über Nötigung bis hin zu Stalking. Wie sich die Situation in den einzelnen Bezirken darstellt.
Es war gegen 2 Uhr nachts, als eine 37-Jährige vor einer Woche in ihrer Wohnung in Wien-Meidling von lauten Schreien geweckt wurde. Vor ihrer Wohnungstür stand ihr Ex-Freund.
In der Hand hielt der 32-Jährige ein Messer. Er drohte der Frau, weshalb sie sofort die Polizei einschaltete. Im Stiegenhaus wurde der Mann festgenommen. Gegen den 32-Jährigen wurde ein Betretungs- und Annäherungsverbot verhängt.
Kein Einzelfall, wie eine aktuelle Auswertung der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie zeigt.
Die Interventionsstelle ist eine gesetzlich anerkannte Einrichtung, die im vergangenen Jahr rund 6.800 Opfer von häuslicher Gewalt beziehungsweise Gewalt im sozialen Nahraum betreute.
Die Polizei ist dazu verpflichtet, alle Betretungs- und Annäherungsverbote aus Wien der Stelle zu übermitteln. Diese nimmt anschließend aktiv Kontakt mit Opfern auf. Knapp 5.000 Personen nahmen dieses Hilfsangebot im vergangenen Jahr zum ersten Mal in Anspruch.
1.800 Betroffene wurden bereits in den Jahren zuvor betreut. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Zahl der polizeilichen Meldungen zu familiärer Gewalt massiv angestiegen ist.
Waren es 1998 – dem Gründungsjahr der Interventionsstelle – noch rund 250 Betretungs- und Annäherungsverbote sowie Strafanzeigen, stieg die Anzahl 2022 auf 4.693.
Wo beginnt Gewalt?
„Es ist schwer, diesen Anstieg auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für das Thema ist jedenfalls gestiegen, das hat sicher dazu beigetragen. Obwohl wir regelmäßig viele Anrufe von Frauen bekommen, die uns fragen, wo denn Gewalt eigentlich beginnt“, erzählt Nicole Krejci, Geschäftsführerin der Interventionsstelle.
Ist es Gewalt, wenn der Gefährder Medikamente des Opfers einzieht? Oder wenn er das Opfer einsperrt? „Wir erklären den Betroffenen dann, dass Gewalt nicht erst bei physischer Gewalt in Form von Körperverletzung anfängt“, so Krejci.
Wo es wie viele Betretungsverbote und Stalking-Anzeigen gab
In der Statistik wurde zudem ausgewertet, wie viele Meldungen aus den Polizeibezirken im vergangenen Jahr bei der Wiener Interventionsstelle eingegangen sind. In Relation zur Einwohnerzahl wurden am häufigsten in Floridsdorf Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen, gefolgt von der Inneren Stadt, Simmering und Favoriten (siehe Grafik).
In der Grafik ist die Zahl der Betretungs- und Annäherungsverbote pro 10.000 Bewohner aufgelistet. Auch die Stalking-Anzeigen – juristisch korrekt Anzeigen wegen Beharrlicher Verfolgung - wurden pro Bezirk erfasst.
Im vergangenen Jahr gingen insgesamt 238 Meldungen dazu bei der Interventionsstelle ein. Die meisten Anzeigen gab es hier in Favoriten, gefolgt von Floridsdorf, Donaustadt und der Inneren Stadt.
"Ein Indikator für die unterschiedlich hohe Zahl an Meldungen ist natürlich die Einwohnerzahl in den Bezirken. Sonst können wir hier keine seriösen Schlussfolgerungen ziehen. Zusätzlich möchte ich betonen, dass wir hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit zu den Zahlen garantieren. Die Dunkelziffer ist sehr hoch“, sagt Cansel Demirdelen, die die Abteilung Qualitätsmanagement in der Interventionsstelle leitet.
Ist die Anzeigebereitschaft bei Körperverletzung oder psychischer Gewalt mittlerweile verhältnismäßig gestiegen, so gering sei sie nach wie vor bei sexualisierter Gewalt, sagt die Expertin. „Viele Frauen trauen sich dann auch im Gespräch mit uns nicht, auf die Frage zu antworten, ob sie diese Art der Gewalt erlebt haben. Das braucht oft viel Zeit, bis ein Vertrauensverhältnis da ist“, erklärt Demirdelen.
Das zeigt sich in der Statistik: Wie bereits in den Vorjahren machte auch im Jahr 2022 das Delikt der Körperverletzung mit 2.737 den größten Teil aller Anzeigen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt in Wien aus. Zum Vergleich: 93-mal wurden Gefährder wegen Vergewaltigung bzw. geschlechtlicher Nötigung angezeigt, 29-mal wegen sexuellem Missbrauch.
Auch der Fall der 37-Jährigen, die von ihrem Exfreund in Wien-Meidling mit einem Messer bedroht worden ist, wird im kommenden Jahr als eine Zahl in der Statistik der Interventionsstelle aufscheinen.
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