Die Masern als politisches Problem
Christian Böhmer
12.02.24, 17:32Das Jahr beginnt toll: 2023 noch „Vize-Europameister“ hinter Rumänien, ist Österreich 2024 auf dem besten Weg, bei der Zahl der Masernfälle ganz nach oben zu klettern (mehr dazu hier).
Sie verzeihen den Sarkasmus, aber: Schön langsam ist das alles nicht einfach lästig oder ärgerlich. Es ist schlichtweg Irrsinn.
Da gibt es seit Jahrzehnten einen wirksamen, gut verfügbaren und kostenlosen Impfstoff, und trotz allem schafft es die Industrienation Österreich nicht, genug Kinder zu immunisieren, um bei den Masern Herdenimmunität zu erreichen. Ganz zu schweigen davon, dass man diese grauenhafte Infektionskrankheit ausrotten könnte, wäre die Schutzimpfung selbstverständlich.
Woher kommt das? Wie kann es sein, dass in einem Land, das so fantastische Wissenschafter und Nobelpreisträger wie Schrödinger, Wagner-Jauregg, Pauli oder Zeilinger hervorgebracht hat, naturwissenschaftliche Erkenntnisse für offenbar viele so wenig zählen?
Im Zuge der Covid-Pandemie hat sich die Akademie der Wissenschaften dieser so wichtigen Frage angenommen und durchaus beunruhigende Erkenntnisse gewonnen.
Eine ist diese: Wie in der Schweiz und Deutschland sind auch in Österreich die „Fernwirkungen“ der Romantik bis heute messbar. Der „Glaube an die Natur“ und ihre Selektionsmechanismen ist oft größer als das Vertrauen in die Schulmedizin. In Zahlen bedeutet das: Jeder Zehnte ist radikal wissenschaftsskeptisch bzw. wissenschaftsfeindlich.
Er oder sie bezweifelt, dass Wissenschafter unsere Welt erforschen können. Und selbst wenn sie es können sollten, sind die militanten Skeptiker überzeugt, dass die Wissenschaft von den Interessen der Wirtschaft und/oder der Politik gesteuert wird.
Wie man mit diesen Unverbesserlichen vernünftig diskutiert, das müssen Klügere klären. Dem Autor fehlt hier jede Fantasie.
Jedenfalls kümmern muss sich die Politik um eine andere, viel größere Gruppe, nämlich: um die gut 60 Prozent der „distanzierten Mitte“. Diese Mitbürger lehnen die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse nicht grundsätzlich ab. Allerdings haben sie die Pandemie und andere Krisen verunsichert. Und nun droht diese Mitte ins Lager der militanten Wissenschaftsfeinde abzugleiten.
Was kann man dagegen tun?
Die Akademie liefert einige plausible Vorschläge: Kurzfristig sollten Politik und Wissenschaft öffentlich vereinbaren, wie und wo sich Experten in politische Entscheidungen einbringen. Und damit junge Staatsbürger verstehen, wie Wissenschaft und Politik zusammenwirken, plädiert die Akademie für einen Schwerpunkt bei der politischen Bildung in Schulen. Österreich als Europameister bei der politischen Bildung? Das wäre doch ein lohnendes Ziel. Und es würde vermutlich nicht nur das Problem der Masern-Fälle, sondern gleichzeitig manch anderes, drängendes Problem lösen.
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