Alltag in der Risikozone: Oh Schreck, der hat gerade gehustet

Alltag in der Risikozone: Oh Schreck, der hat gerade gehustet
Das Coronavirus bringt neue Umgangsformen mit sich. Man grüßt wildfremde Menschen, obwohl man ihnen eigentlich aus dem Weg geht.
Christoph Geiler

Christoph Geiler

Eine Woche dauert die Ausgangssperre in Tirol nun schon an und mit jedem Tag in Quarantäne verstärkt sich dabei noch mehr der Eindruck: Kann es sein, dass wir alle noch nie so aufmerksam und hellhörig durch die Welt gegangen sind wie jetzt?

Im Gewurl einer Touristen- und Studentenstadt wie Innsbruck nimmt man für gewöhnlich kaum einmal von den Menschen Notiz, deren Wege man da zwangsläufig kreuzt. Da muss jemand schon besonders verhaltensoriginell sein, dass er im Alltag einmal unsere Aufmerksamkeit erweckt.

Seien wir ehrlich: Bis vor kurzem war’s den meisten von uns doch völlig wurscht, wer da gerade auf der anderen Straßenseite spaziert, wie die Mitarbeiterin in der Wurstabteilung des Supermarkts aussieht oder ob die Kassiererin gerade eine Verkühlung plagt.

Das ist jetzt komplett anders. Eigentlich ist es sogar das genaue Gegenteil. Die Straßen von Innsbruck sind inzwischen dermaßen menschenleer, dass man unweigerlich zusammenzuckt, wenn einem doch einmal jemand über den Weg läuft.

Und man ertappt sich zwangsläufig dabei, dass man sein Gegenüber schon von Weitem argwöhnisch beäugt und dabei von oben bis unten genauestens mustert. Um Gottes Willen, warum trägt der eine Maske? Oh Schreck, hat sie jetzt tatsächlich gerade gehustet? Hilfe, bin ich hier sicher?

Wer so reagiert, der ist weder hysterisch noch ein Hypochonder. Und schon gar nicht muss er deshalb ein schlechtes Gewissen haben. Denn wahrscheinlich geht‘s im Moment allen gleich.

Und es ist natürlich auch keineswegs ein Akt der Unhöflichkeit, wenn man demonstrativ die Straßenseite wechselt oder großräumig in die Wiese ausweicht. Lieber ein Hundstrümmerl auf dem Schuh als das Coronavirus am Hals.

Die Menschen gehen im Moment auf Distanz. Zugleich sind sie sich aber auch so nah wie noch nie. Man grüßt plötzlich auf der Straße über die Straße wildfremde Leute, man nickt und winkt ihnen zu. Solche Gesten kannte man in Tirol bislang nur von den Bergwanderungen. Über 1000 Meter, so die gängige Regel, ist man per Du und grüßt sich.

In dieser Ausnahmesituation wird das jetzt auf einmal zur Normalität. Das ist schön. Die Frage ist nur, wie lange das anhält, wenn bei uns wieder einmal so etwas wie Normalität eingekehrt ist. Und ob viele Menschen dann nicht doch wieder schlagartig die Miesepeter und Bissgurn in ihnen hervorkehren.

 

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