Die Formkurve der EU

Birgit Braunrath

Birgit Braunrath

Wenn die EU 'nicht in Topform' ist, ist das kein Instanzen-Problem, sondern Gesamtverantwortung.

von Birgit Braunrath

über Junckers Rede zur Lage der EU

Das Phänomen ist bekannt. Die Teilnehmer an einem Verkehrsstau sagen gern: „Ich bin im Stau“ und nicht: „Ich bin der Stau“. Damit schlüpfen sie in die Opferrolle, haben ein Alibi fürs Zuspätkommen und ihnen sind – bequem – die Hände gebunden.

Ähnlich ist es mit der EU. Wenn der Kommissionspräsident in seiner Rede zur Lage der Union sagt: „Die EU ist derzeit nicht in Topform“, will man nicht nur heftig nicken, sondern schmunzeln und diese semantische Untertreibung als geschickte Behübschung der aktuellen Lage interpretieren. Tatsache ist allerdings, dass der Satz auch heißt: „Wir alle sind derzeit nicht in Topform.“

Denn wir sind nicht nur „in“ der EU. Wir „sind“ die EU. Spätestens das Brexit-Votum hat klar gezeigt, dass ein Austritt Nachteile für jeden Einzelnen bringt. Wenn die EU heute „nicht in Topform“ ist, dann ist das kein Instanzen-Problem, sondern Gesamtverantwortung. Wer über die EU schimpft, sie als Mistkübel für nationalen Politik-Müll oder als Feindbild für Eigenprofilierung missbraucht, der trägt täglich aktiv zu ihrer aktuellen Formkurve bei.

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