Juncker: "Europa ist nicht der Wilde Westen"

Juncker am Mittwoch bei seiner Rede
Die EU sei derzeit "nicht in Topform", attestierte der Kommissionspräsident in seiner Rede zur Lage der Union. Er spricht von einer "existenziellen Krise der EU".

Die EU steckt nach Ansicht von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einer existenziellen Krise, wird aber auch nach dem Ausscheiden Großbritanniens nicht zerfallen. In einer Rede zur Lage der EU appellierte Juncker am Mittwoch im Europäischen Parlament in Straßburg auch an die 27 verbleibenden Mitgliedstaaten sich zusammenzuraufen.

In den nächsten zwölf Monaten müsse die EU liefern. Er schlug ein Maßnahmepaket vor, das etwa mehr Investitionen, einen besseren Schutz der Außengrenzen und eine engere Zusammenarbeit bei der Verteidigung enthält. Es müsse ein gemeinsames Bewusstsein geben, gegen Populisten anzukämpfen, die die EU zerstören wollten.

"Europa ist nicht der Wilde Westen"

Juncker äußerte sich zwei Tage vor dem informellen Treffen der 27 EU-Staaten ohne Großbritannien, bei dem sie die Folgen des britischen Austritts und ihre weitere Zusammenarbeit beraten wollen. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte in seinem Einladungsschreiben gewarnt, dass das Brexit-Votum nicht nur britische Gründe gehabt habe, sondern das Unwohlsein vieler Europäer auch in anderen Mitgliedstaaten zeige. Der Pole forderte vor allem Maßnahmen, damit sich das "Chaos von 2015" in der Flüchtlingskrise nicht wiederholt. Dabei glänzte Juncker - wie erwartet - bei seiner mit Spannung erwarteten Rede zur Lage der EU mit klaren Aussagen und Sprüchen: "Europa ist nicht der Wilde Westen. Es ist eine soziale Marktwirtschaft ohne soziales Dumping", so der EU-Kommissionspräsident. (Mehr Sager von Juncker lesen Sie im unteren Abschnitt)

Juncker: "Europa ist nicht der Wilde Westen"
European Commission President Jean-Claude Juncker addresses the European Parliament during a debate on The State of the European Union in Strasbourg, France, September 14, 2016. REUTERS/Vincent Kessler

Juncker legte den Schwerpunkt seiner Rede anders und widersprach ausdrücklich Sorgen, die EU sei auf dem Weg, die Nationalstaaten und deren Bedeutung zu beseitigen. Hintergrund sind Forderungen einiger nationalkonservativer osteuropäischer Regierungen etwa in Polen und Ungarn, die eine teilweise Rückverlagerung von EU-Kompetenzen an die Staaten fordern. "Europa wird und darf nie zu einem Einheitsstaat werden", sagte Juncker. Die EU-Kommission sei auch kein "Zerstörer", sondern "Konstrukteur". Allerdings betonte er, dass er eine "politische" Kommission leite.

"Die Europäische Union ist derzeit nicht in Topform"

Juncker: "Europa ist nicht der Wilde Westen"
European Commission's President Jean-Claude Juncker (C) gets ready to make his State of the Union address to the European Parliament in Strasbourg, eastern France, on September 14, 2016. / AFP PHOTO / FREDERICK FLORIN
Nötig seien in der EU mehr Solidarität in vielen Feldern, mahnte Juncker. "Die Europäische Union ist derzeit nicht in Topform", so Juncker, auch wenn er betonte, dass die EU durch den Brexit "nicht in ihrem Bestand gefährdet" sei. Die "Solidarität ist zu klein" und "die EU ist nicht sozial genug", kritisierte Juncker. Allzu oft werde exklusiven Nationalinteressen die Vorfahrt eingeräumt. Er schlug deshalb auch einen neuen EU-Freiwilligendienst vor. Die slowakische EU-Präsidentschaft solle sich dafür einsetzen, dass die Flüchtlinge gleichmäßiger auf die EU-Staaten verteilt werden, sagte er mit Blick auf die Weigerung einiger osteuropäischer EU-Partner.

Entscheidend sei aber, dass die EU ihren Bürgern vor allem in den Bereichen Soziales und Sicherheit in den nächsten zwölf Monaten zeigen müsse, dass sie nützlich sei. Die Kommission wolle deshalb den milliardenschweren Investitionsfonds verlängern und auf 500 Milliarden Euro aufstocken. Damit könnten bis 2022 bis zu 630 Milliarden Euro für Investitionen aktiviert werden könnten, sagte Juncker. Der Europäische Investitionsfonds (EFSI) soll die maue europäische Wirtschaft in Schwung bringen. Der auch Juncker-Plan genannte Fonds habe bereits im ersten Jahr zu Investitionen von rund 116 Milliarden Euro geführt, sagte der Kommissionschef. Nun sollte der Plan bis 2020 verlängert werden.

Juncker: "Europa ist nicht der Wilde Westen"
European Commission President Jean-Claude Juncker arrives to address the European Parliament during a debate on The State of the European Union in Strasbourg, France, September 14, 2016. REUTERS/Vincent Kessler

Juncker wies allerdings den Nationalstaaten die Hauptverantwortung bei der Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in etlichen Ländern zu. Die EU könne hier nur begleitend helfen. "Ich rufe alle Mitgliedsstaaten auf, mehr Verantwortung zu übernehmen", sagte er. Dazu gehöre auch eine möglichst rasche Ratifizierung des internationalen Klimaschutzabkommens durch die EU.

Zudem forderte er eine engere Zusammenarbeit beim Schutz der Grenzen und eine stärkere Verteidigungsunion. Die EU-Staaten sollten in Bulgarien ab Oktober 200 Grenzschützer einsetzen. Es müsse eine genaue Registrierung jeder der in die EU einreisenden Personen erfolgen.

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European Commission President Jean-Claude Juncker addresses the European Parliament during a debate on The State of the European Union in Strasbourg, France, September 14, 2016. REUTERS/Vincent Kessler
Die EU-Außenbeauftragte FedericaMogherini müsse "eine echte europäische Außenministerin" werden, forderte Juncker, die EU solle dann etwa auch einen Sitz bei den Syrien-Verhandlungen erhalten. Um die gemeinsamen Verteidigungsfähigkeiten auszubauen, will Juncker bis Ende des Jahres einenEU-Verteidigungsfondsaufbauen. "Der Vertrag von Lissabon gibt den Staaten die Möglichkeit die Verteidigungskapazitäten zu bündeln, in Form einer strukturierten ständigen Zusammenarbeit. Ich denke, jetzt ist die Zeit gekommen, diese Möglichkeit zu nutzen."

Die Digitalisierung Europas will Juncker unter anderem mit dem raschen Ausbau des superschnellen mobilen Internets 5G vorantreiben. Bis 2025 soll es überall in der EU verfügbar sein. Davon verspricht er sich bis zu zwei Millionen zusätzliche Jobs. Außerdem gab er als Ziel aus, bis 2020 an öffentlichen Plätzen in Stadtzentren in der EU freies WLAN anzubieten.

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European Commission President Jean-Claude Juncker addresses the European Parliament during a debate on The State of the European Union in Strasbourg, France, September 14, 2016. REUTERS/Vincent Kessler TPX IMAGES OF THE DAY
Juncker machte sich fürFreihandel als Jobmotorstark, auch für das umstrittene AbkommenCETA mit Kanada. Es sei das "beste und fortschrittlichste" Handelsabkommen, das die EU je abgeschlossen habe. Nachverhandlungen schloss er aus. "Die Garantien, die wir brauchen, können in den Parlamenten präzisiert und ausverhandelt werden", sagte Juncker.

Juncker rief die Europäer zu einer Allianz gegen Populisten auf. "Populisten lösen keine Probleme. Populisten schaffen sie. Deshalb müssen wir uns gegen sie schützen", mahnte er, ohne aber direkt auf die Wahlen in Deutschland und Frankreich im kommenden Jahr zu verweisen. Er warf nationalen Regierungen vor, immer noch nach dem alten Muster vorzugehen, in Brüssel erst Entscheidungen zuzustimmen und dann bei Kritik im Inland so zu tun, als ob man nicht beteiligt gewesen sei.

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European Commission President Jean-Claude Juncker leaves the desk after his address to the European Parliament during a debate on The State of the European Union in Strasbourg, France, September 14, 2016. REUTERS/Vincent Kessler

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht die Europäische Union in einer tiefen Krise, daran ließ er bei seiner jährlichen Grundsatzrede im Europaparlament am Mittwoch keinen Zweifel. Neben Appellen und Ermahnungen zu mehr Miteinander nannte Juncker eine ganze Reihe konkreter Initiativen, die zeigen sollen: Die EU bringt etwas für die 509 Millionen Europäer.

- Wirtschaft und Konjunktur: Das von Juncker 2014 angeschobene Investitionsprogramm soll verdoppelt werden, sowohl in der Summe als auch in der Dauer. Statt bisher 315 Milliarden Euro an Investitionen in Projekte wie Straßen, Netze oder Energieversorgung in drei Jahren anzuschieben, ist die neue Zielmarke nun also 630 Milliarden binnen sechs Jahren. Ein kleiner Teil der Riesensumme sind öffentliche Garantien - bisher 21 Milliarden. Ein Teil der neuen Summe soll aus dem EU-Haushalt kommen, ein Teil von den Mitgliedstaaten.

Neue Jobs erhofft sich Juncker auch vom Freihandel - auch vom umstrittenen Abkommen Ceta mit Kanada - und von der Digitalisierung. Seine Zielmarken: Bis 2020 freies WLAN an öffentlichen Plätzen, bis 2025 superschnelles mobiles Internet 5G in ganz Europa. Gegen Jugendarbeitslosigkeit will er die EU Jugendgarantie weiter führen, die junge Leute für den Arbeitsmarkt fit machen soll. Außerdem will Juncker ein "Europäisches Solidaritätskorps": Freiwillige sollen im Krisenfall helfen, etwa nach Erdbeben wie jetzt in Italien. Bis 2020 hofft Juncker auf 100.000 Teilnehmer.

- Sicherheit: Auf die unkontrollierte Einreise von Hunderttausenden im vergangenen Jahr soll die EU nach Junckers Vorstellungen mit Schutzvorkehrungen reagieren. So soll der Aufbau eines europäischen Grenz- und Küstenschutzes vorangebracht werden, und zwar ganz konkret schon im Oktober. Dann sollen etwa 50 zusätzliche Fahrzeuge und 200 Grenzschützer bei der Sicherung der bulgarischen Grenze zur Türkei helfen. Darüber hinaus will Juncker analog zum ESTA-System in den USA ein Registrierverfahren namens ETIAS (European Travel Information System) für die EU aufbauen. Einreisende müssten sich im Voraus registrieren, damit ihre Daten mit Sicherheits- und Terrordatenbanken abgeglichen werden können. Nationale Datenbanken zu Terrorverdächtigen sollen zusammengeführt und Europol gestärkt werden.

- Flüchtlinge: Neue Initiativen zum Flüchtlings- und Asylrecht in der EU plant die Kommission nicht, da sie bereits im Sommer ein umfangreiches Paket vorgeschlagen hat und nun um Zustimmung der Mitgliedsstaaten und des Parlaments buhlen muss. Sie will aber, wie bereits angekündigt, den Herkunftsstaaten helfen, damit weniger Menschen ihr Glück in Europa suchen. Ein "Investment Plan for Africa and the Neighborhood" soll Investitionen von 44 bis 88 Milliarden Euro ermöglichen.

- Militär- und Außenpolitik: Die Verteidigungszusammenarbeit der EU-Staaten soll enger werden. Unter anderem soll ein gemeinsames Hauptquartier für EU-Missionen entstehen. Zudem soll Rüstung möglichst gemeinsam beschafft werden, was nach Schätzungen bis zu 100 Milliarden Euro pro Jahr sparen soll. Da die Militärunion politisch für einige Länder ein heißes Eisen ist, soll sie womöglich zunächst mit einem kleinen Kreis von interessierten EU-Staaten beginnen. Insgesamt wünscht sich Juncker eine stärkere gemeinsame Außenpolitik. Die Außenbeauftragte Federica Mogherini solle "unsere europäische Außenministerin" werden. Konkret schlug er eine Europäische Strategie für Syrien vor. Mogherini solle an Verhandlungen über die Zukunft Syriens direkt beteiligt werden.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist am Mittwoch wie der Polit-Star der Union im Europaparlament empfangen worden. Und Juncker glänzte - wie erwartet - bei seiner mit Spannung erwarteten Rede zur Lage der EU mit klaren Aussagen und Sprüchen.

Nachfolgend einige Juncker-Sager:

"Europa ist nicht der Wilde Westen. Es ist eine soziale Marktwirtschaft ohne soziales Dumping".

"Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa. Die Rede, die ich hier halte, ist mit der Rede des US-Präsidenten in keiner Weise vergleichbar. Europa ist komplexer, vielschichtiger und deshalb unverständlich für viele. Aber die schlimme Geschichte Europas hat es gewollt, dass wir so sind wie wir geworden sind".

"Nachverhandlungen zu CETA kann es nicht geben".

"Die Bürger Europas dürfen nicht länger an der Nase herumgeführt werden, man muss ihnen ins Auge sehen".

Juncker: "Europa ist nicht der Wilde Westen"
European Commission President Jean-Claude Juncker arrives to address the European Parliament during a debate on The State of the European Union in Strasbourg, France, September 14, 2016. REUTERS/Vincent Kessler
"Die Menschen sind der Schaukämpfe leid, der Eifersüchtelein zwischen den Staaten, das mögen sie nicht, sie hassen Unterstellungen und Lügen".

"Ich werde nicht akzeptieren, dass Milch billiger wird als Wasser".

"Wir dürfen die Dinge nicht noch komplizierter und unverständlicher machen als sie schon sind".

"Die EU ist derzeit nicht in Topform".

"Die EU ist nicht sozial genug".

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bezeichnete die Rede von Juncker als "Referenzpunkt in der Politik" der Europäischen Union. Es sei ein "Moment des Innehaltens, Nachdenkens über die Arbeit des vergangenen Jahres und die Chance, prinzipielle Leitlinien und Fundamente richtungsweisend zu definieren". Die Juncker-Rede zur Lage der EU sei ein "essenzieller Teil der Demokratie der Union geworden".

Juncker: "Europa ist nicht der Wilde Westen"
European Commission's President Jean-Claude Juncker arrives to make his State of the Union address to the European Parliament in Strasbourg, eastern France, on September 14, 2016. / AFP PHOTO / FREDERICK FLORIN
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat mit seiner "Rede zur Lage der Union" viel Zuspruch von den EU-Abgeordneten geerntet, vor allem aus den beiden größten Fraktionen, der christdemokratisch-konservativen EVP und den Sozialdemokraten. Mehrere rechtsgerichtete Abgeordnete äußerten aber Skepsis darüber, ob dies ausreiche um weitere EU-Austritte abzuwenden.

EVP-Fraktionsvorsitzender Manfred Weber dankte Juncker etwa dafür, dass die EU-Kommission nun auch schwerreiche Internetkonzerne für Steuerbeiträge heranziehe. An die EU-Staats- und Regierungschefs appellierte Weber vor dem Gipfel in Bratislava: "Hört auf zu streiten. Schluss mit billigem Populismus." Die EU-Staaten müssten endlich Verantwortung für Europa übernehmen. In Brüssel würden Frankreich, Polen, Tschechien und Italien nie oder fast nie bei den EU-Ministerratssitzungen gegen EU-Vorschläge stimmen, sagte Weber.

Der Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion, Gianni Pittella, attestierte Juncker, "eine hervorragende Rede". Juncker habe das Wort Austerität nicht in den Mund genommen und gute Worte zum Kampf gegen die Steuervermeidung gewählt. Es könne nicht sein, dass jeder EU-Bürger mehr Steuern bezahle als US-Multis. Pittella forderte außerdem mehr Kampf gegen Sozialdumping und eine europäische Arbeitslosenversicherung. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini müsse eine wirkliche EU-Außenministerin werden. Die Sozialdemokraten stünden gegen den Nationalismus. "Wir brauchen politische Intelligenz, Entschlossenheit und ein wirkliches Herz für Europa."

Der britische Konservative Syed Kamall, Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, äußerte die Befürchtung, dass die EU nach dem britischen Brexit-Votum die "Warnsignale" in anderen EU-Staaten überhört. Juncker habe keine neuen Botschaften gegeben. "Aber je mehr Europa man baut, desto mehr entfernen sich die Bürger." Die EU sollte "weniger tun, aber dafür besser".

Liberalen-Chef Guy Verhofstadt bezeichnete es als "lächerlich", dass Kamall die EU als Quelle des Nationalismus ausfindig machte. Die Zunahme von Populismus und Nationalismus sei aber Realität, weil große Teile der Bevölkerung Europa nicht mehr als Lösung sehen würden. "Das ist die eigentliche Krise in Europa." Populisten predigten ein falsches Verständnis von Sicherheit. Verhofstadt begrüßte Junckers Vorstoß für eine EU-Verteidigungsunion. Europa müsse ein "Gegengewicht für die wilde Globalisierung" und die "Heilung für das Krebsgeschwür des Nationalismus" sein. Die EU habe nun die Verantwortung, aus dem Brexit einen Erfolg zu machen.

Die Vorsitzende der Linken-Fraktion, Gabriele Zimmer, sagte in Richtung Juncker, sie glaube nicht mehr an ein "Feuerwerk an Versprechungen". Sie forderte: "Das europäische Haus muss wieder bewohnbar werden." Das bisherige Konzept, auf globale Wettbewerbsfähigkeit zulasten der Bürger zu setzen, sei gescheitert.

Die grüne Fraktionschefin Rebecca Harms warnte, es sei jetzt nicht der Zeitpunkt für Kompetenzänderungen in der EU. Zuerst müsse die EU Vertrauen der Bürger zurückgewinnen. Die Migrationskrise sei bisher "nur in homöopathischen Dosen zu uns durchgedrungen". Die EU müsse ihren internationalen Verpflichtungen zur Aufnahme von Flüchtlinge besser gerecht werden. Wenn die EU-Kommission die Errungenschaften der EU bei CETA und TTIP nicht verteidige, verliere sie weiter das Vertrauen der Bürger, sagte Harms.

Nigel Farage von der britischen EU-Austrittspartei UKIP und Ko-Vorsitzender der rechtsgerichteten Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie sagte in Anspielung auf die Brexit-Abstimmung, nach Junckers Rede freue er sich umso mehr, "dass wir Nein gesagt haben". Junckers Vorstoß für eine europäische Armee sei "ein sehr gefährlicher Zug" und werde die Opposition zu EU-Migrantenquoten nicht wettmachen. Verhofstadt, der vom EU-Parlament zum Brexit-Verhandler ernannt wurde, sei "ein Fanatiker", "ein EU-Nationalist" und "eine Kriegserklärung gegen jeden vernünftigen Verhandlungsprozess". Dies werde die Briten "unvermeidbar zum No-deal treiben".

Die Chefin des rechtsextremen Front National in Frankreich, Marine Le Pen, Ko-Vorsitzende der rechtsgerichteten Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit, sagte zu Juncker: "Man hat selten schwächere Reden gehört, die überhaupt keine Vision mitbringen". Die EU-Kommission wiederhole stets "mehr Europa", dabei glaube kein Mensch mehr daran, dass Europa die Bürger schütze. Auf Nachfrage bekräftigte Le Pen, dass sie in Frankreich ein Referendum zum Ausscheiden Frankreichs aus der europäischen Union organisieren werde.

Der Europäische Fonds für Strategische Investitionen (EFSI) gehört zu den Prestigeprojekten von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Er sollte innerhalb von drei Jahren (2015-2018) wirtschaftlich tragfähige Investitionsprojekte in einem Volumen von etwa 315 Mrd. Euro anstoßen. Doch nicht überall läuft dies gleichermaßen gut. Die EU-Kommission hat nun vorgeschlagen, die Mittel auszuweiten.

FONDS: Der Fonds enthält Garantien in Höhe von 21 Mrd. Euro. 16 Mrd. davon stammen aus dem EU-Haushalt, 5 Mrd. von der Europäischen Investitionsbank (EIB). Mit ihrer Hilfe sollen Investitionen von 315 Mrd. Euro angeschoben werden, die zum Großteil aus privaten Mitteln stammen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schlug nun vor, Volumen und Laufzeit des Fonds zu verdoppeln: Binnen sechs Jahren sollen nun 630 Mrd. Euro an Investitionen angestoßen werden. Es soll zudem einfacher werden, Anträge einzureichen.

PROJEKTE: Gefördert werden Investitionen beispielsweise in Breitband- oder Energienetze sowie in Verkehrsinfrastruktur. Aus Deutschland steht unter anderem die Heidelberger Druckmaschinen AG auf der Liste der EFSI-Projekte.

SCHWIERIGKEITEN: In Malta und Zypern gibt es bisher keine über den Fonds geförderten Projekte. Die noch unter den Folgen der Wirtschaftskrise leidenden Länder Spanien und Portugal profitierten bisher vergleichsweise wenig von dem Plan, setzen aber für die Zukunft auf EFSI. Man wolle Brüssel unter anderem ein rund 160 Mio. teures Projekt zur Modernisierung der lange Jahre vernachlässigten Eisenbahnlinie zwischen Lissabon und dem Badeort Cascais vorlegen, sagte schon vor einiger Zeit Infrastrukturminister Pedro Marques. Spanien präsentiert unterdessen "kaum Projekte", wie die Zeitung "El País" in einer jüngsten Bilanz schrieb.

Griechenland hat ebenfalls zahlreiche Vorhaben etwa zum Ausbau des Straßennetzes vorgeschlagen. Aus Regierungskreisen hieß es aber, das Problem sei hier, dass sich der Staat oder private Unternehmen vor Ort beteiligen müssten. Weder Staat noch Privatleute hätten aber das nötige Geld und die Banken vergäben keine Kredite.

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