Endlich wieder Aussicht auf Kultur - aber die Angst muss zu Hause bleiben
Der zart geröchelte; der tief gurgelnde; der erfolglos unterdrückte, der sich dann in einem umso längeren Anfall entlädt: Das Wiener Publikum hat nicht nur feinstes Klassikgehör, sondern auch eine hochverfeinerte Meisterschaft im Husten zur Vollendung gebracht. Oft schon saß man selbst in unbeschwerteren Zeiten im Konzertsaal in Sorge, was man denn außer dem Kulturerlebnis mit nach Hause nehmen werde.
Diese Sorge wird für manche künftig schwerer wiegen: Kultur trotz Corona? Denn ja, man darf wieder mit Menschen zusammen Kultur erleben. Die neue Staatssekretärin hat jene Öffnungsschritte kommuniziert, auf die Publikum und Branche (und die Präsidentin der Salzburger Festspiele) sehnsüchtig gewartet haben. Auch für alle Geschmäcker abseits des Gediegenen wird es wieder Angebote geben.
Und wie das so ist, wenn man kriegt, was man sich wünschte: Wenn man es dann hat, fragt man sich, ob man es wirklich wollte. Man darf endlich wieder gemeinsam mit Familie und Freunden im Konzert-, im Theatersaal, virologisch besser: vor der Freiluftbühne sitzen.
Ein Begleiter aber droht dabei mit unangenehmer Hartnäckigkeit, die freien Plätze im Publikum in Beschlag zu nehmen: das neue Unbehagen in der Kultur, die Angst vor der Ansteckung. Zuckt man jetzt bei jedem Huster zusammen? Oder übt sich im virologisch bedingten vorzeitigen Abgang? Was tun damit, was tun mit der Sorge, von der man viele Wochen lang hohe Dosen verabreicht bekommen hat? Es steht Manchen im Kultursommer 2020 eine nicht ganz kleine Abwägungsherausforderung bevor. Was sich ein bisschen gut trifft: Denn gerade die Kultur lehrt, mit komplizierten Fragen, mit angespannten Emotionen umzugehen. Wenn man dazu nur wieder die Gelegenheit bekommt.
Also: Welches theoretische Risiko, welchen Einsatz sind uns die höheren Sphären der Existenz Wert? Kriegen die nur Platz, wenn sie fast umsonst zu haben sind, oder wenn es gerade keine dringenderen Probleme gibt? Wer sich diese Frage wirklich zu stellen vermag, der ist dem unbelasteten Kulturgenuss schon ein ordentliches Stück ordentlich näher gekommen. Denn Kultur liegt zwar vielleicht außerhalb des emotionalen Bunkers, in den sich die Krisengesellschaft bei Gefahr zurückzieht. Aber: Drinnen überlebt, draußen lebt man.
Wie also will man leben? Auch davon spricht die Kultur.
Sie ist, das darf man sich auch vor Augen führen, der Lebensmultiplikator schlechthin: In Musik, Literatur, Kunst hat man die einmalige Chance, mehrere Leben zu leben. Und daraus Verfeinerung, Wissen, auch eine gewisse Abgeklärtheit zu schöpfen. Damit ist man besser gerüstet, dem Leben angstfrei gegenüber zu stehen. Oder diese Angst wieder sein zu lassen, und stattdessen zu (er-)leben.
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