Die große Enttäuschung
Martina Salomon
19.11.21, 17:41Schon wieder Lockdown. Wieso bewältigt Österreich die Pandemie so schlecht? Natürlich gibt es Versäumnisse der Bundesregierung und eine politische Spaltung, die einen Schulterschluss verhinderte. An dieser Spaltung trägt Ex-Kanzler Kurz Mitschuld.
Er hat zu Amtsbeginn die Opposition links liegen gelassen und dann Herbert Kickl aus der Regierung geworfen, der mit Ibiza nichts zu tun hatte. Der beleidigte Kickl suchte sich die Nische der Impfgegner und befeuerte dieses Lager verantwortungslos. Die Opposition konzentrierte sich auf „Kurzmussweg“, die Regierung wirkte oft uneinig. Erst am Freitag sprach sie mit einer Zunge. Endlich. Die Politik? Eine Enttäuschung.
Anderes ebenso, etwa die Impfung. Zwar sind sowohl die Virenlast als auch das Risiko einer schweren Erkrankung bei Geimpften niedriger. Ein Riesenfortschritt. Aber sie wirkt nicht so gut, wie von Experten prophezeit. Hätte die Regierung von Israel gelernt, das uns immer ein paar Wochen voraus ist, hätte man erkannt, dass gegen die vierte Welle eine schnelle Booster-Impfung hilft.
Stutzig macht die Krisenanfälligkeit unseres angeblich „weltbesten“ Gesundheitssystems. Österreich hat pro Kopf vier Mal so viele Intensivbetten wie Schweden (derzeitige 7-Tage-Inzidenz: 59). Schon vor Corona ist die Ärzteschaft aus den öffentlichen Spitälern in die Privatmedizin geflüchtet, auch in der Pflege herrscht Personalmangel. Darum müssen sich Bund und Länder auch ohne Corona kümmern.
Der Bevölkerung werden Impfungen und sogar Tests gratis geradezu „nachgeschmissen“, für die man anderswo viel zahlen muss. Warum fruchtet das alles nicht? Vielleicht weil viele Bürger nicht nur verdammt verwöhnt, sondern auch borniert sind. Man orientiert sich an der eigenen Community, kann keinen Computer bedienen, kriegt keine Empfehlungen mit. Die Regierung packt daher den uneleganten „Hammer“ Impfpflicht aus.
Dazu kommt: Jahrelang wurden Gentechnik und Pharmaindustrie verteufelt, wen wundert die Impfskepsis? Für ein entwickeltes Land sind wir außerdem ziemlich „krank“. Übergewicht und Diabetes – beides Corona-Risikofaktoren – sind weit verbreitet. Zu allem Überfluss herrscht auch noch Datenphobie. Wenn man wüsste, wer auf einer Intensivstation landet und wo man sich ansteckt, könnte man sich gezielter um Risikogruppen kümmern.
Trotzdem bleibt rätselhaft, warum wir schwerer als andere getroffen sind und nun zusperren mit all den katastrophalen Kollateralschäden. In Deutschland etwa liegt die Impfquote mit 67,7 Prozent kaum höher, in den USA (59) sogar niedriger. Eine (weitere) Erklärung wäre der Rhythmus der Pandemie: Wir sind ein Transitland, auch die vorletzte Infektionswelle brauste aus Richtung des Balkan über uns hinweg. Das Jahr endet wie 2020 – enttäuschend.
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