Doch Guterres, der in Wien gerade ein Treffen der Chefs aller UN-Organisationen leitet, scheint in diesen Wochen in seiner Rolle zu wachsen. Er reiste nach Butscha, an den Schauplatz russischer Verbrechen, sprach dort die „bösen Taten“ an und ließ keinen Zweifel daran, wen er dafür verantwortlich machte. Schließlich forderte er Russland offen auf, den Internationalen Strafgerichtshof bei seinen Untersuchungen der Kriegsverbrechen zu unterstützen. Kurz zuvor war Guterres in Moskau, obwohl sich Putin bei allen Besuchsanfragen hartnäckig taub gestellt hatte. Dort schaffte er es zumindest, den Abzug Hunderter Zivilisten aus dem zerstörten Mariupol auszuhandeln.
Es ist eine Klage, die man über die UNO seit ihrer Gründung anstimmen kann: Sie ist ihrer eigentlichen Aufgabe, den Frieden auf dieser Welt zu sichern, nicht gewachsen. Das liegt vor allem an ihrem nicht funktionierenden, mächtigsten Gremium, dem Sicherheitsrat. Der bildet die Weltlage zu Beginn des Kalten Krieges ab, als der sozialistische Osten,
der von den USA dominierte Westen und ein paar zerfallende Kolonialreiche einander unversöhnlich gegenüberstanden. Die Chance auf eine Reform dieses Sicherheitsrates, in dem Russland eine Verurteilung seines Krieges per Veto blockieren kann, ist nicht in Sicht. Zu groß ist die Macht jener, die ihre Interessen gewahrt wissen wollen.
Doch der UN-Chef hat mehr in der Hand als dieses erstarrte Gremium – vor allem seine moralische Autorität. Guterres kann nicht Partei ergreifen, aber er kann die Prinzipien, auf deren Grundlage die UNO einst gegründet wurde, vor der Weltöffentlichkeit vertreten – und das auch von Moskau bis Peking. Je ehrlicher er dies tut, desto mehr setzt es Russland unter Druck, desto mehr Rückhalt bekommen Organisationen wie der Internationale Strafgerichtshof. Der sanfte Portugiese, der eine Diktatur, wie sie Russland heute ist, als Kind selbst erlebt hat, wäre eine ungewöhnliche, aber dafür umso authentischere Besetzung für einen Helden. Don Quijotes an ihrer Spitze, die nur mit den eigenen bürokratischen Windmühlen kämpften, hatte die UNO ohnehin schon genug.
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