Vermittler oder Egoist: Erdoğan und der Ukraine-Krieg
Es sind zwei Männer in der selben Position, in zwei Ländern, die sich einst als Brudervölker verstanden. Doch seit dem Einmarsch der Kreml-Truppen stehen sich Dmitro Kuleba, Außenminister der Ukraine, und Sergej Lawrow, Außenminister von Russland, in einem blutigen Krieg gegenüber. Am Donnerstag sollen sie sich zum ersten Mal seit Beginn des Angriffskrieges persönlich treffen. Mit dabei der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Das Treffen findet in Antalya statt.
Warum gerade in der Türkei? Dafür muss man ein wenig ausholen.
Gute Beziehungen zu beiden
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist seit Wochen bemüht, zwischen den Fronten zu vermitteln. Bereits als man den Konflikt noch Krise und nicht Krieg nennen konnte, bot er sich als Mittelsmann an. „Ich bin für euch beide da. Lasst uns reden“, war Erdoğans Credo, das auch heute noch gilt. Denn auch wenn die Türkei deutlich und eindeutig Russland für den Angriff auf die Ukraine verurteilt hat, möchte sich vor allem Erdoğan von seinem „besten Freund“ Wladimir Putin, wie er ihn einmal bezeichnete, auch nicht ganz abwenden.
Es ist ein Balanceakt, den Erdoğan gerade vollführt. Wegen der Kontrolle der Wasserstraßen könnte Ankara als NATO-Mitglied sogar militärisch in den Konflikt hineingezogen werden. Gleichzeitig ist die Türkei aber wegen der Nähe sowohl zu Russland als auch zur Ukraine als möglicher Vermittler im Vorteil.
Die Türkei unterhält sehr gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Kiew. Sie liefert Waffen, etwa die TB-2-Kampfdrohnen. Seit einiger Zeit werden die Fluggeräte sogar gemeinsam entwickelt und produziert.
Erdoğan und Putin – Mehr gemeinsam als man glaubt
Mit Russland ist man ähnlich eng in Kontakt. Ein Drittel des türkischen Bedarfs an Erdgas kommt aus Russland, außerdem ein Sechstel aller Touristen. Und auch politisch stehen Türkei und Russland eng beieinander – auch wenn das Verhältnis in den vergangenen Jahren immer wieder angespannt war. "Vor allem etwa, als es um Syrien ging und man jahrelang verschiedene Seiten unterstützte, kriselte es. Aber letztlich konnten sich Putin und Erdoğan immer einigen. Die Türkei hat auch letztlich beim Krieg um Berg-Karabach mit Russland relativ schnell eine gute Gesprächsbasis gefunden", sagt Politologe Thomas Schmidinger.
So unähnlich seien sich Putin und Erdoğan schließlich auch nicht. "Sie treten mit einem ähnlichen Männlichkeitsbild auf. Fühlen sich beide oft zu kurz gekommen, nicht nur persönlich, sondern auch von anderen Staaten. Sie herrschen beide totalitär. Und sie spielen beide immer wieder mit der Idee, das verlorene Großreich wiederherzustellen", so Schmidinger.
Aber könnte die Türkei als Vermittler tatsächlich etwas erreichen?
Gut für die eigene Stellung?
Schmidinger glaubt nicht daran. "Die Türkei ist als NATO-Mitglied dann doch zu wenig neutral und auch militärisch und ökonomisch zu unbedeutsam für Russland", erklärt der Politologe. Als wirklich wichtigen und mächtigen Player erachtet er vielmehr China. "Da herrscht mittlerweile eine viel größere wirtschaftliche Abhängigkeit", fügt der Politologe hinzu.
Von den Gesprächen und Bemühungen kann Erdoğan trotzdem profitieren – oder zumindest glaubt er das. „Innenpolitisch steht Erdoğan derzeit unter sehr großem Druck. Der Krieg ist für ihn eine Möglichkeit, sich außenpolitisch zu positionieren und sich so wieder mehr politische Legitimität zu verschaffen. Angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage im Inland wird das aber wohl nicht möglich sein", sagt Schmidinger.
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