Warum der Afroshop nie sterben darf

Rastazöpfe, Haarglättung und Perücken - Afroshops gehören zum Wiener Stadtbild wie türkische Friseure und Asiashops. Über Corona habe ich sie fast vergessen, doch als ich letzte Woche wieder an einem vorbeikam, erinnerte ich mich an diese Feelgood-Orte meiner Kindheit und Jugend.
Ganz aufgeregt war ich, als ich zum dreizehnten Geburtstag meine erste Haarglättung machen lassen durfte. Viele Jahre später saß ich wieder im Salon. Neben mir ein Mädchen, dass ihren dreizehnten Geburtstag ebenfalls im Afroshop verbrachte. Mittlerweile wollte ich keine Glättung mehr, sondern eher Braids - also Zöpfe. Die Möglichkeiten an Hairstyles sind endlos.
Für Schwarze Menschen sind Haare sehr wichtig. Es ist schwer, diese Relevanz in Worte zu fassen. Sie bedeuten Identität, da sich das Haar Schwarzer Menschen in der Struktur klar von dem weißer Menschen unterscheidet. Außerdem sind sie ein Stück Kultur, da die verschiedenen Flechtfrisuren viele Traditionen Afrikas und der USA in sich tragen. Auch als politisches Thema ist Afrohaar höchst relevant, denn der Afro stand beispielsweise während des Civil Rights Movements für Widerstand. Heute noch werden Schwarze Menschen aufgrund ihrer Haare diskriminiert.

Mehr als nur ein Körperteil
Arbeitgeber oder Bildungseinrichtungen finden sie oftmals immer noch „nicht ordentlich“ oder zu „unprofessionell“. In Teilen der USA gibt es gegen die Diskriminierung von Afrohaar sogar ein Gesetz - den Crown Act. Es ist also kein Wunder, dass sich viele Schwarze Menschen seit ihrer Kindheit mit dem Thema beschäftigen und ihre Haare als einen wichtigen Teil ihrer selbst sehen.
Der Afroshop ist oft der einzige Ort, an dem die Qualifikation für das Styling der Haare vorhanden ist. Die meisten weißen Friseur*innen haben die notwendigen Techniken nie gelernt. Doch nicht nur Schwarzes Haar wird gestylt, geflochten und geschnitten - auch weiße Menschen verirren sich vereinzelt in die Shops und lassen ihre Haare machen. Neue Geschäftsfelder werden somit erschlossen, zum Beispiel auch Perücken für Krebspatient*innen. Außerdem gibt es in den Geschäften zahlreiche Artikel wie Kleidung, Schmuck, Haarteile und Haarpflegeprodukte aller Art. Ein Shopping-Erlebnis mit Artikeln von Atlanta bis Lagos.
Eine Angelegenheit von acht bis zehn Stunden
Diese Art des Geschäfts – teils auch Ethno Business genannt – wurde in Wien besonders von Schwarzen Frauen gegründet. Spätestens seit den 90er Jahren gibt es sie im Wiener Stadtbild. Sie sind jedoch viel mehr. Es sind Community-Zentren. Die Friseur*innen arbeiten oft stundenlang an einer Person, denn besonders Braids, oder Rastazöpfe, brauchen je nach Länge und Stil teilweise Stunden. Da kann ein Friseurbesuch schon mal acht bis zehn Stunden dauern. Aus diesem Grund gibt es in jedem guten Afroshop noch zusätzliche Stühle - oder wenn es der Platz erlaubt, sogar eine Couch. Freund*innen können gerne mitkommen oder ein und aus gehen. Ob es die Bekanntschaften der Friseur*in oder der Kund*innen sind, ist nebensächlich.
Gesprächsthemen finden sich immer. Wenn die Eltern gerade Haare machen, was wie bereits erwähnt Stunden dauern kann, kommen gerne mal die Kinder aus der Schule und setzen sich dazu. Es wird geredet, gegessen und Nollywood-Filme werden geschaut. Nollywood, die Schwester von Hollywood und Bollywood, meint die nigerianische Filmwirtschaft, die Filme in alle afrikanische Staaten und nach Europa exportiert.
Kaffee oder Sekt, wie bei weißen Friseur*innen üblich, gibt es weniger. Wenn noch Essen über ist, wird allerdings gerne einmal eine Portion Stew mit Reis und Plantain angeboten. Obwohl ich meine Haare mittlerweile nicht immer im Afroshop flechten lasse, liebe ich sie. Immer, wenn einer schließen muss, tut es mir weh. Er ist einer der wenigen Orte, an dem das Schwarz-sein in Österreich sichtbarer Alltag ist. Der Text fungiert als eine Notiz an mich selbst, diese Orte nicht zu vergessen und mich bald wieder in den Friseursessel zu begeben.
Schwarz mit großem S ist eine Selbstbezeichnung. Es ist ein Begriff, welcher sich nicht auf biologistische Merkmale stützt. Er bezeichnet eine soziale Konstruktion für Menschen mit gemeinsamen Lebenswelten und Erfahrungen, welche oft mit Rassismus im Zusammenhang stehen, doch auch andere Aspekte berücksichtigen. Im Gegensatz dazu wird der Begriff weiß wird in vielen wissenschaftlichen Kontexten klein geschrieben, oft ebenfalls kursiv. Das geschieht um ebenfalls anzuzeigen, dass es sich um eine soziale Konstruktion handelt.
Kommentare