Das Gschisti Gschasti um Österreichs koloniales Erbe
„Wir hatten ja gar keine Kolonien!“ Der Satz, den Österreicher*innen verwenden, wenn sie sich von jeglicher Verantwortung reinwaschen wollen, um koloniales Erbe und Rassismus nicht aufzuarbeiten. Wunschdenken.
Viele besetzte Gebiete gab es nicht, allerdings fehlte nicht der Wille, sondern nur das Können. Zu spät dran und dann patschert umgesetzt - Österreich eben, wie wir es auch im Umgang mit der Pandemie kennen.
Gewalt als Gewalt benennen
Doch damals wie heute lassen sich die Leute das Reisen nicht nehmen, versuchen Orte zu besetzen und nehmen mit Gewalt Objekte und sogar Menschen mit. Gewalt als Gewalt zu benennen, damit tun wir uns als Gesellschaft schwer. Der Europäische Reichtum kann ja auch absolut nicht durch die Ausbeutung zahlreicher Teile der Welt und ihren Einwohner*innen erklärt werden. Wo kämen wir da hin, einzugestehen, dass wir eben nicht selbst die Tollsten sind – aber gut, Impfweltmeister sind wir ja auch. Nur die Museen räumen doch ein, dass die Objekte aus anderen Ländern viel spannender sind, als die eigenen und wollen diese nicht mehr hergeben.
Nicht nur in der Vergangenheit
Und doch basiert ein Teil unserer Wirtschaft auf genau diesem Kolonialismus. Wenn die neokolonialen Systeme einbezogen werden, wie die Produktion von Mobiltelefonen, Kleidung und Schokolade, ist das nicht einmal nur in der Vergangenheit behaftet. Vergangenes und Gegenwärtiges sind nicht weit auseinander. Im Kaffeehaus sitzen, eine Melange genießen, mit dem Fahrrad oder Auto nachhause fahren und die Vorzüge der technischen Entwicklung genießen. Dinge, die Wiener*innen gerne tun, bereits in den 1910er Jahren.
Wo kommt der Kaffee her?
Wenige Gedanken werden daran verschwendet, wo die Rohstoffe für Genussmittel, wie Kaffee, Tee oder Kakao oder der Gummi für Reifen herkamen. Zahlreiche große österreichische Unternehmen konnten nur entstehen, weil sie Dinge zum Markenkern auserkoren haben, die nicht in der Wachau oder im Ötztal angebaut werden können. Da bleibt Beweis des kolonialen Erbes sogar im Logo zurück. Wir wären nicht in Österreich, wenn nicht auch das romantisiert wird.
Gib Gummi
Kabel, Dichtungen, Fahrradreifen, Autoreifen, Schuhabsätze – Gummielastikum, wie es damals auch Kautschuk genannt wurde, ist überall im Einsatz. Da synthetischer Gummi erst spät hergestellt werden kann, braucht es den Rohstoff Kautschuk. Gummi ist eine essentielle Erfindung, wenn es um technischen Fortschritt geht. Wirklich europäisch ist das ganze allerdings nicht. „Legal erworben“ wird einem der Österreicher entgegenschreien.
Hunger durch Ausbeutung stillen
Kautschuk kommt vom Gummibaum, welcher sowohl in Teilen Afrikas, Lateinamerikas oder später Asiens ansässig war. Ein System an Ausbeutung war notwendig, um den Hunger der Europäer*innen zu stillen. Kaufen wir über drei Ecken ein und waschen uns die Hände rein, könnte das Motto geheißen haben. Rohstoffe aus England, den Niederlanden oder Deutschland zu kaufen, ist nicht unproblematischer als selbst Kolonien zu besitzen. Rituelle Objekte von Menschen zu kaufen, die sie zuvor geraubt haben, ebenso wenig.
Die Spuren bleiben
Der Unrechtskontext bleibt bestehen. Österreichweit finden sich koloniale Spuren in Kunst, im Straßenbild, in der Sprache und in den Gedankengängen. So ein Gschisti Gschasti. Denn auch dieser Begriff findet sich in alten Schriften meist mit dem Zusatz Gummilasti, was die Frage des eigentlichen Ursprungs, der tschechisch sein soll, und der Bedeutung aufwirft. Vielleicht sollten wir mehr Gschisti Gschasti drum machen, dass Österreich vom Kolonialismus profitiert hat.
Vanessa Spanbauer ist Historikerin und Journalistin in Wien. Sie schreibt Kolumnen für "Mehr Platz".
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