Fremdschämen auf den Stadionrängen: "A Tschusch rein, a anderer raus"

Fremdschämen auf den Stadionrängen: "A Tschusch rein, a anderer raus"
Ist das Stadionpublikum das wahre Abbild unserer Gesellschaft? Hoffentlich nicht ...

Ich habe es mir damals geschworen: Bei einem Fußball-Ländermatch setze ich mich nie wieder in den Fan-Block. Denn was ich damals beim Duell zwischen Österreich und Bosnien-Herzegowina erlebte, war eine Warnung. 

Der erste Stadionbesuch meines Sohnes sollte das Gastspiel der Mannschaft meines Heimatlandes in Wien sein. Also schnappte ich den Fünfjährigen, dem ich zu diesem Anlass das Trikot des bosnischen Stürmerstars Edin Džeko überstreifte, und machte mich auf den Weg ins Happel-Stadion. Begleitet wurden wir von einem serbischen Freund und dessen Sohn. Als ich ihm - etwas übereifrig, sollte sich herausstellen - die Tickets schenkte, dachte ich nicht daran, dass das ins Auge gehen könnte. 

Unsere Plätze befanden sich nämlich im Gästeblock. Umgeben waren wir größtenteils von bosnischen "Patrioten", die meisten davon seit Jahrzehnten in Österreich lebend bzw. hier geboren. Ich versuchte, mich auf das Geschehen auf dem Rasen zu konzentrieren, bekam dennoch das leider niveaulose Gerede um mich herum mit. Noch vor dem Anpfiff wollte ich nicht mehr da sein. 

Denn als der Stadionsprecher bei Mannschaftsaufstellungen den Namen des ÖFB-Stars Marko Arnautović vorlas, standen die meisten um uns herum auf, fingen an zu pfeifen und zu buhen - und die serbische Mutter des Wieners zu beleidigen. Ich spürte die Schamröte in mir aufsteigen, traute mich aber nicht, in das Gesicht meines Freundes zu schauen. Heute erinnere ich mich nicht mehr daran, wer die Tore beim 1:1 schoss, sehr wohl aber daran, wie sehr ich mich schämte. Dass sich unsere Buben noch in der ersten Hälfte einfach so die Stiegl-Fähnchen schnappten und "Immer wieder Österreich" anstimmten, empfand ich nicht als eine Niederlage, sondern als Genugtuung. 

Déjà-vu im Happel-Stadion

Siebeneinhalb Jahre später beging ich, inzwischen nicht mehr bosnischer, sondern österreichischer Staatsbürger, denselben Fehler und setzte mich beim Spiel Österreich - Kroatien am Sonntagabend wieder in den Fan-Block. Diesmal war es der rot-weiß-rot gefärbte. Ich erlebte ein Déjà-vu. Schon wieder wurde Marko Arnautović aufgrund seiner serbischen Wurzeln ausgepfiffen, diesmal allerdings von kroatischen Fans, unter die sich auch einige ganz schlimme mischten. Diese sollen auch nationalistische, ja sogar rechte Gesänge angestimmt haben. 

Von diesen unliebsamen Geschehnissen unter den Gäste-Fans war im Österreich-Block wenig zu spüren. Die Aufmerksamkeit des gesamten Rangs zog viel mehr ein stark wankender Fan an. Womit? Mit Pfiffen bei der kroatischen Hymne, bei Mittelfingerübungen, die für kroatische Fans im Rang darüber gedacht waren - und Beleidigungen ihrer Mütter. 

Meine Kinder, beide im Österreich-Trikot, deuteten auf den angetrunkenen Mann und lachten. Das taten die meisten um uns herum auch, obwohl das eher ein Trauerspiel war. Einige wenige dachten sich, es wäre lustig, ihm beizustehen, und riefen "Recht hast!" Manche Eltern versuchten derweil, die Aufmerksamkeit ihrer Kinder von dem aggressiven Fan wegzulenken. Das, was er von sich gab, war ihnen zu viel. Den Mut, ihn zu mahnen, fand natürlich keiner.

Ich gestehe, ich tat es auch nicht. Warum sollte man einem Kasperl Aufmerksamkeit schenken, dachte ich mir. Just dann verkündete der Stadionsprecher einen Spielerwechsel bei den Kroaten. Einer der drei sympathischen jungen Männer, die hinter uns saßen und mit denen wir zuvor Smalltalk geführt hatten, schrie herein: "Eh wurscht! Ein Tschusch raus, ein neuer rein!" Spätestens da war ich mir dessen im Klaren, dass ...

  1. ... ich hier fehl am Platz bin.
  2. ... man sein wahres Gesicht erst unter Gleichgesinnten zeigt, so etwa im Fanblock eines Fußballstadions. 

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