Die wirtschaftliche Krise der Türkei spitzt sich weiter zu. Die Inflationsrate sprang nun über die Marke von 30 Prozent und liegt im Jahresvergleich bei 36,08 Prozent. Seit dem Sommer hat sich die Rate mehr als verdoppelt und ist damit am höchsten Stand seit 2002.
Die wahre Inflation könnte noch höher sein. Schon länger wird vermutet, dass die offiziellen Zahlen des türkischen Statistik-Instituts (TÜIK) nicht den Tatsachen entsprechen könnten. Die unabhängige Untersuchungsgruppe ENAG, ein Zusammenschluss von Experten, kommt etwa auf eine Inflation von 82,81 Prozent. Der Index der Gruppe wird mehrmals am Tag berechnet. Der Untersuchungskorb ähnelt dabei dem des TÜIK, exkludiert aber Waren wie Alkohol oder Bereiche des Bildungs- und Gesundheitswesen, wo die Regierung die Preise kontrollieren kann.
Der mit der Inflation einhergehende rasante Kursverfall der türkischen Lira verteuert zudem die Einfuhren von Gütern in das Land. Hinzu kommen vergleichsweise hohe Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt. Allein von November auf Dezember betrug die Teuerungsrate 13,6 Prozent. Betroffen davon sind auch die Energiepreise. Die Strompreise für Haushalte wurden um 50 Prozent und für verbrauchsstarke Unternehmen sogar um mehr als 100 Prozent erhöht. Auch die Gaspreise steigen weiter, wie der staatliche Versorger BOTAS mitteilte. Haushalte zahlen im Jänner 25 Prozent mehr, Unternehmen 50 Prozent mehr.
Hintergrund der Krise ist nach Ansicht von Kritikern vor allem die Einmischung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan in die Geldpolitik der Notenbank. Erdoğan drängt immer wieder auf niedrige Zinsen und vertritt entgegen gängiger volkswirtschaftlicher Lehre die Ansicht, hohe Zinsen förderten die Inflation. Kürzlich verteidigte der Präsident erneut seine Niedrigzinspolitik und begründete diese unter anderem mit dem Koran. Er forderte seine Landsleute zudem dazu auf, ihre Goldersparnisse in Lira einzutauschen. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Lira ist aber gering. Viele ziehen es vor, ihre Lira in Dollar oder Euro zu wechseln, bevor diese noch mehr an Wert verlieren.
Von der Opposition hangelt es Kritik. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu schrieb auf Twitter, Erdoğan habe mit der Erhöhung der Energiepreise jede Hoffnung im neuen Jahr erstickt. Der ehemalige Zentralbankchef und Abgeordnete der Iyi-Partei, Durmus Yilmaz, warf der Regierung vor, die Bürger in „tiefe Armut“ zu treiben. Gegen Kritiker geht die Regierung hart vor. Mehreren Menschen drohen etwa wegen kritischer Tweets zur Lira-Krise Strafen. Zwei YouTuber, die unter anderem für ihre Straßenumfragen zur Wirtschaftspolitik bekannt sind, wurden erst kürzlich unter Hausarrest gestellt.
Umfrage-Debakel
Erdoğans Beliebtheit dürfte weder der Umgang mit der Kritik noch seine „religiöse“ Geldpolitik helfen. Im Land kommt es seit Wochen immer wieder zu Protesten. Auch stürzte Erdoğans Regierungspartei, die AKP, bei Umfragen zum ersten Mal seitdem sie an der Macht ist, an die zweite Stelle.
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