Hat Russland am Balkan einen neuen Verbündeten gefunden?
“Um sich gegen den russischen Einfluss wehren zu können, ist es eine der wichtigsten Aufgaben, die Regierungsbildung nach den Wahlen abzuschließen”, warnte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Pressekonferenz im November 2022. Bezogen hat er sich dabei auf Bosnien-Herzegowina. Die neue Regierung in dem kleinen Balkanland steht mittlerweile. Der russische Einfluss bleibt jedoch.
Nachdem die Regierung im Jänner, vier Monate nach den Wahlen, auf Staatsebene formiert worden war, sprachen viele Vertreter der Internationalen Gemeinschaft von einer "neuen Hoffnung für Bosnien-Herzegowina".
Neuer Außenminister als russischer Hoffnungsträger
Dieser Enthusiasmus dürfte mittlerweile verpufft sein. Denn die neue Regierung sendet Signale aus, die man sich in der EU nicht erhofft hatte. Zu einer neuen Reizfigur könnte vor allem der neue Außenminister Elmedin Konaković avancieren. Russische Medien scheinen jedenfalls bereits einen guten ersten Eindruck von ihm zu haben. Das Portal Balkanist veröffentlichte eine Analyse über den neuen möglichen außenpolitischen Kurs Bosnien-Herzegowinas und setzt große Hoffnungen in den Mann, der einst als Basketball-Profi seine Brötchen verdiente. Ein außenpolitisches Ziel werde es sein, "gute Beziehungen zum Osten aufrechtzuerhalten", schreibt Balkanist.
"Das bedeutet, dass Bosnien und Herzegowina ein Land bleiben wird, das sich nicht offiziell den anti-russischen Sanktionen anschließen wird und für Russen visumfrei bleiben dürfte", schreibt der Autor des Artikels. Einen Dämpfer bekamen die russischen Hoffnungen dennoch, als Konaković letzte Woche bei einer Pressekonferenz betonte, dass der russische Botschafter nicht über die NATO-Mitgliedschaft Bosniens entscheiden werde. Zuvor hatte der russische Abgesandte in Sarajevo Igor Kalabuchow in einem Interview das Land vor einem NATO-Beitritt gewarnt.
"Ich glaube nicht, dass wir jetzt schon genügend Anhaltspunkte haben, um Konaković selbst als 'prorussisch' zu bezeichnen. Er scheint aber ungewöhnlich herzliche Beziehungen zu den wichtigsten prorussischen Akteuren in Bosnien und Herzegowina, nämlich zu Dodik und Čović, zu haben", sagt der Politikwissenschaftler und Südosteuropa-Experte Jasmin Mujanović im Gespräch mit dem KURIER.
Der Wind weht von Osten
Seine erste offizielle "Reise" trat der neue Außenminister, der aus bosniakischen Reihen kommt, innerhalb der eigenen Staatsgrenzen an. Er fuhr nach Banja Luka, die Hauptstadt der kleineren Landesentität Republika Srpska (RS). Dort traf er Milorad Dodik. Der Präsident des vorwiegend mit Serben besiedelten Landesteiles, den er am liebsten von Bosnien abspalten würde, hat noch nie einen Hehl aus seinen prorussischen Haltungen gemacht, weshalb er unter Experten als "Putins loyalster Verbündeter am Balkan" gilt. Die USA haben den Nationalisten wegen seiner Bemühungen, den Frieden und die Stabilität in Bosnien zu untergraben, sanktioniert.
Ein großer Themenbereich des Treffens Dodik-Konaković waren die Sanktionen gegen Russland, mögliche Eröffnung eines russischen Konsulats in Banja Luka und Einführung eines Visaregimes für Russen. Auch wenn sie sich in diesen Themen nicht einig sind, muss laut Dodik "keine Zeit für Überzeugungsarbeit verschwendet werden". Konaković selbst wollte seine Haltung hierzu nicht ganz klar äußern. Worin sie sich jedoch einig sind, ist die Bereitschaft für "einen konstruktiven Dialog und Respekt für die Meinungen der anderen Partei".
"Ich werde oft nach Banja Luka kommen, das ist ein neuer Weg", bekräftigte Konaković und wies darauf hin, dass seine nächsten Besuche in den Nachbarländern Kroatien und Serbien eingeplant sind.
Kroatischer Draht zu Kreml
Aber auch die Haltung eines anderen hochrangigen bosnischen Politikers zu Kreml ist problematisch. Denn Dragan Čović, Präsident der nationalistischen Partei der bosnischen Kroaten HDZ, verbirgt auch seine Russland-Sympathie nicht. Im Februar 2020 reiste er nach Moskau, um dort die Vorsitzende des russischen Föderationsrates zu treffen. Ziel des Treffens war "die Stärkung der Beziehungen zu Russland". In einem Interview mit der regierungsnahen Rossiyskaya Gazeta beklagte er den fehlenden russischen Einfluss in Bosnien-Herzegowina.
Ein Foto von ihm und Dario Kordić geht seit Monaten viral. Kordić war selbst Präsident der HDZ in den 90er Jahren. Vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wurde er zu 25 Jahren Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Eine von den Kroaten bejubelte Reform war die, durch den Hohen Repräsentanten Christian Schmidt auferlegte Änderung des Wahlgesetzes. Ob der Kreml involviert war, ist nicht ganz klar: “Als Schmidt seine Wahlrechtsänderungen ankündigte, schwieg die russische Botschaft in Sarajevo merkwürdig. Die meisten interpretierten dies als taktisches Zeichen der Zustimmung, da der Kreml normalerweise jeden Einsatz der Bonner Befugnisse oder die Existenz des Hohen Repräsentanten vollständig ablehnt”, fügt Mujanović hinzu. Die Bestrebung der HDZ ist die Ausrufung einer dritten Entität, die sogenannte “Herceg-Bosna”.
Merkwürdige Agenda in Brüssel
Vor einer Zusammenarbeit mit den kroatischen Nationalisten scheint Konaković nicht zu scheuen. Anfang Februar hat er sich in Brüssel mit der kroatischen Europaabgeordneten Željana Zovko und David McAllister, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, getroffen.
Ein Video zeigte kürzlich McAllister, wie er seinen Kollegen aus dem Europäischen Parlament von einem Treffen mit Kroatiens Premier Andrej Plenković berichtet: "Plenković holte ein Blatt Papier heraus und zeichnete eine Karte von Bosnien und Herzegowina”, sagt er im Video, das mittlerweile von Zovkos Twitter-Profil gelöscht wurde. Der letzte kroatische Politiker, der die Staatsgrenze von Bosnien und Herzegowina umzeichnen wollte, war Franjo Tuđman. Der erste kroatische Präsident machte zu Kriegszeiten keinen Hehl daraus, dass er Bosnien-Herzegowina am liebsten an Kroatien anschließen würde.
“Konaković war in Brüssel. Aber er sprach nur mit EVP-Kollegen. Nicht mit mir oder meinen Kollegen, die den EU-Beitrittsprozess [Bosniens] befürworten. Ich denke, es liegt auch in meiner Verantwortung, dafür zu sorgen, dass wir zusammenhalten”, hat die EU-Abgeordnete Tineke Strik in einer Pressekonferenz kritisiert.
Auch der ungarische Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi, mit dem sich Konaković ebenfalls getroffen hat, scheint die Sorgen der europäischen Abgeordneten über die sich vertiefende ethnische Spaltung in Bosnien-Herzegowina nicht ernst zu nehmen, und hat diese in einer Fragestunde "Idioten“ genannt.
"Die Aussagen von Olivér Várhelyi sind respektlos gegenüber dem Europäischen Parlament und sind nicht tragbar für einen EU-Kommissar. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass Kommissar Várhelyi für sein Fehlverhalten in Kritik gerät. Als Erweiterungskommissar ist er für eines der wichtigsten außenpolitischen Instrumente der EU verantwortlich. Leider hat er in diesem Bereich ebenfalls versagt, vor allem am Westbalkan. Daher fordere ich seinen sofortigen Rücktritt!", sagt der SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder gegenüber dem KURIER.
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