Warum ich die Autobahn in meiner Heimat nicht erleben werde

FILE PHOTO: A pothole is pictured on the street of Los Angeles
Bosnien und Herzegowina ist ein Land, das viel Geduld erfordert und im Schneckentempo lebt.

"Papa, ist die Autobahn immer noch nicht fertig?" Diese Frage muss ich mir während der Fahrt in die alte Heimat anhören, und zwar seitdem die Kinder reden können. Und das ist bei dem Älteren immerhin schon seit neun Jahren der Fall. 

Meine Kinder hassen das Autofahren. Schuld daran ist das Geburtsland ihrer Eltern. Ich kann es ihnen nicht verübeln, denn wer tut sich nach 550 Kilometern auf den österreichischen, ungarischen, slowenischen bzw. kroatischen Autobahnen gerne die bosnischen Landstraßen an? Warum Landstraße? Die Antwort ist simpel: Zentralbosnien, in dem auch etwa die Hauptstadt Sarajevo liegt, ist mit Nachbarland Kroatien nicht mit einer Autobahn verbunden.

Um Missverständnisse auszuschließen: Schuld daran ist nicht etwa der Krieg, der für dies und das gerne als Ausrede für den Stillstand im Lande genannt wird, sondern die Tatsache, dass man in Ex-Jugoslawien beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur die zentrale Teilrepublik einfach außenvor gelassen hat. Danke, Tito!

Schneckentempo

Die Verkehrsinfrastruktur ist bezeichnend für die allgemeine Lage in dem Land, dessen Beitrittskandidatenstatus die EU-Kommission am Mittwoch empfohlen hat. Aktuell verfügt Bosnien-Herzegowina über etwa 230 Kilometer Autobahnen. Um das einordnen zu können: Von Velika Kladuša im Westen des Landes bis zum östlichsten Ort Rudo sind es etwa 500 km.

Es ist jetzt nicht so, dass nicht gebaut wird. Die A1, einen Teil des Paneuropäischen Verkehrskorridors Vc, der die Anreise aus Mittel- und Westeuropa an die südliche Adria erleichtern soll, baut man seit 2001. In 21 Jahren hat man 114,5 von geplanten 334 Kilometern fertiggestellt. Das reißt einen nicht vom Hocker. "Aufgrund der komplizierten Topographie ist der Anteil an notwendigen Kunstbauten sehr hoch", klärt uns die deutsche Wikipedia auf. In der bosnischen Version kommt ein, nicht unwesentlich, Nebensatz hinzu: "... der Bau hat sich aufgrund zahlreicher Tunnel und Brücken sowie der schwachen Finanzlage in Bosnien und Herzegowina verlangsamt". 

Ja, die Begriffe Geldmangel und Schneckentempo kommen im Bosnischen häufig vor. Vor allem der Vergleich mit dem Weichtier ist beliebt. Meine Schwiegermutter sagte mal nach einer zweistündigen Zugfahrt zwischen Zenica und Sarajevo (70 km von einander entfernt), der Zug wäre so langsam unterwegs, dass man Zeit hätte, einen genaueren Blick auf die Wandteppich in den auf der Strecke liegenden Häusern zu werfen. Darauf zu sehen werden viele sein, die ihr Zuhause inzwischen in Deutschland, Schweden, den USA, Australien oder eben Österreich gefunden haben. Und ihre Kinder gelegentlich in die Heimat ihrer Eltern schicken. 

Apropos Kinder und die Antwort auf die Frage, wann denn die Autobahn endlich fertig sein werde - meine Standardantwort auf die selbige lautet immer gleich: "Liebe Kinder, Mama und ich werden es nicht mehr erleben. Ihr vielleicht ..." Was ich früher zynisch sagte, meine ich mittlerweile todernst. Denn die Rechnung ist klar: Bei diesem Bautempo wird die A1 in 42 Jahren fertig sein. Und ich bin jetzt 42.  

Hoffentlich steht das Land nicht genauso lang im Wartezimmer der EU ...

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