Wohlfühl-Guide: So kann der Winter kommen
Gemächlich sinken die weißen Partikel in der durchsichtigen Flüssigkeit auf den Boden der Schneekugel. Sie enthüllen eine kleine Winterlandschaft. Verschneit und idyllisch liegt sie da. Hinter dunkelgrünen Tannen lugt eine Holzhütte hervor, davor spielen Kinder mit dicken Wollmützen auf einem Schlitten.
Dort, fein säuberlich hinter Glas drapiert, mögen die meisten Menschen den Winter am liebsten. Im echten Leben, wenn es draußen stürmt und schneit, bitterkalt und monatelang trüb, grau und nass ist, können sich die wenigsten für die Winterzeit erwärmen. Einzig der erste Schnee des Jahres entlockt so manchen Erwachsenen noch ein Blitzen in den Augen.
Wintereinbruch
Im Frühling und Sommer haben Glücksgefühle Hochsaison; der Winter drückt bei vielen gehörig auf die Stimmung. "Kein Wunder", sagt Martin Hautzinger, Klinischer Psychologe an der Universität Tübingen. "Die verringerte Sonneneinwirkung und vermehrte Dunkelheit haben Auswirkungen auf unseren Körper, die Hormonsysteme und das Melatonin. Der Herbst stellt die Weichen für den Winterschlaf, den wir natürlich nicht mehr pflegen, aber biologisch noch Reste davon in uns haben." Diese körperlichen Veränderungen wirken auf unsere Wachheit, unseren Energiehaushalt, unsere Bewegungsfreudigkeit – und nicht zuletzt auch auf unsere Wahrnehmung, die mit Erinnerungen, Einstellungen und gelernten Verhaltensmustern verbunden ist. "Wenn es draußen dunkel, grau und regnerisch ist und die Bäume leer gefegt sind, fühlen wir uns also einfach unwohl", erklärt der deutsche Psychotherapeut.
Oft ist in diesem Kontext vom sogenannten Winterblues die Rede, ein umgangssprachlicher Ausdruck für die schlechte Laune im Winter. Davon abzugrenzen ist die Winterdepression: "Die muss die offiziellen Kriterien einer depressiven Episode erfüllen, also etwa niedergedrückte Stimmung, Schlafstörungen, Energielosigkeit, Lustlosigkeit, Interessensverlust und Pessimismus. Wenn dann eine eindeutige saisonale Abhängigkeit dazukommt, wenn die Depression also nur zwischen November und März auftritt, spricht man von einer Winterdepression."
Doch was genau passiert im Körper, wenn die Sonnenstunden rar werden? "Licht, vor allem Sonnenlicht, beeinflusst über die Netzhaut der Augen unser Gehirn, und dort den Thalamus und die Hypophyse. Davon wird wiederum die Zirbeldrüse gesteuert. Sie bildet das Hormon Melatonin, das den Schlaf-Wach-Rhythmus und die Stimmungsregulation beeinflusst. Licht unterdrückt dieses Hormon, was uns wach und aktiv macht." Es wird vermutet, dass bei Menschen mit saisonaler Depression dieser Mechanismus gestört ist. Die Unterdrückung des Melatonins gelingt bei ihnen nicht oder nur zum Teil. "Durch Sonnenlicht beziehungsweise Lichtduschen kann hier nachgeholfen und ein gewisser antidepressiver Effekt erzeugt werden", sagt der Experte für Depressionen.
Neben der Psyche meldet sich im Winter auch der Körper mit unangenehmen Symptomen. Eine ungünstige Konstellation, weiß Hautzinger: "Wer an einer Erkältung oder gar einer Grippe leidet, fühlt sich ähnlich krank wie viele Menschen mit einer Depression. Menschen mit einer Depressionsanfälligkeit werden durch eine Infektionserkrankung leichter depressiv, indem sie sich zurückziehen, inaktiv werden, anfangen zu grübeln, sich verstärkt beobachten, was wiederum Selbstzweifel und Pessimismus befeuert."
Innerlich auftauen
Bei aller Tristesse und Trübheit: Der Winter hat auch seine guten Seiten. Weihnachtsmarktbesuche und Punschschlürfen (siehe ganz rechts) etwa. Aber auch Skiurlaube, besinnliche Adventabende zu Hause, Weihnachten mit der Familie. "Viele Rituale, die wir in der Winterzeit pflegen, kommen einer Strategie gleich, um uns gegen die Unwirtlichkeit der Jahreszeit zu wappnen", bestätigt Hautzinger. "Die kältere, dunklere Jahreszeit zwingt uns außerdem zur Fokussierung, zum Nachdenken, zur Pflege vernachlässigter Kontakte und Tätigkeiten."
Wie letzteres gelingen kann, lesen Sie im Folgenden.
Glücksgefühle auf dem Teller
Im Winter sehnen wir uns nach wohligen Gefühlen – auch beim Essen. Bestimmten Lebensmitteln haftet das Image des Stimmungsaufhellers an. Nicht ohne Grund, wie Diätologin Barbara A. Schmid erläutert: "Es gibt in der Tat eine Wechselwirkung zwischen Nahrungsaufnahme und Psyche. Letztere kann ein gestörtes Essverhalten auslösen. Umgekehrt kann die Ernährung auch das Wohlbefinden beeinflussen."
Biochemisch kann man das so erklären: An der Regulation der Nahrungsaufnahme sind Neurotransmitter beteiligt. Diese Botenstoffe haben die Aufgabe, Signale an das Zentralnervensystem zu übertragen. Zu den wichtigsten zählen Noradrenalin, Adrenalin und Serotonin. Das Glückshormon Serotonin kontrolliert den Appetit, verändert die Schmerzempfindung, reguliert die Körpertemperatur und ist mit den übrigen Neurotransmittern an anderen lebenswichtigen Funktionen beteiligt. Serotonin steuert zudem den Schlaf-Wach-Rhythmus, in dem es Melatonin bildet, das guten Schlaf begünstigt – und wer gut schläft, hat bessere Laune.
Kann man Glücksgefühle also essen? "Wenn man von Stimmungsaufhellern spricht, ist der Tryptophan-Gehalt ausschlaggebend. Serotonin wird nicht übers Essen aufgenommen, sondern über diese Aminosäure im Hirn gebildet", erklärt Schmid. Gute Tryptophan-Lieferanten sind Datteln, Bananen, Fleisch, Milchprodukte, Fisch, Nüsse, bestimmte Getreidesorten wie Dinkel und Amarant sowie Sojabohnen. "Je besser wir mit Tryptophan versorgt sind, desto mehr Ausgangssubstanz haben wir für die Serotoninbildung."
Auch Eisen, B6 Magnesium und Zink können als "Glücksstoffe" verbucht werden. "Eisenmangel verursacht Müdigkeit und Antriebslosigkeit und kann auch ein Stimmungstief verstärken. Vitamin B6, Zink und Magnesium sind wie Tryptophan an der Bildung von Serotonin beteiligt." Für die optimale Verstoffwechselung von Tryptophan sollten entsprechende Lebensmittel mit Kohlenhydraten kombiniert werden. So gelangt mehr von der Aminosäure ins Gehirn.
Topfit durch den Frost
"Zu kalt kann es für Bewegung eigentlich gar nicht sein", sagt Sportmediziner Robert Fritz von der Wiener Sportordination. Im Winter will Outdoor-Sport dennoch gut geplant sein: "Die meisten ziehen sich erfahrungsgemäß entweder zu kalt oder zu warm an", sagt Fritz. Als Faustregel fürs Joggen im Freien empfiehlt er: "In den ersten zehn Minuten sollte einem ein bisschen kalt sein, dann hat man im Verlauf des Trainings kein Temperaturproblem." Fritz rät außerdem zum Zwiebelschalenprinzip. "Als erste Schicht eignet sich enge Funktionskleidung, die Schweiß abtransportiert. Darüber kommt ein T-Shirt oder ein dünner Pullover, um diese Feuchtigkeit aufzunehmen. Als dritte Schicht rate ich – vor allem bei leichtem Regen oder Schneefall – zu einer wasserdichten Funktionsweste, um die kalte Luft abzuleiten."
Auch die Finger wollen im Winter gut eingepackt werden; in dünne Laufhandschuhe zu investieren, zahlt sich aus. Der Kopf sollte zumindest mit einem Stirnband geschützt werden, an die Füße gehören im Winter hohe Socken: "Zwischen langer Laufhose und den Schuhen sollte keine nackte Haut sein", betont Fritz. Nach dem Joggen gilt es, rasch aus der verschwitzten Kleidung schlüpfen und nach intensiven Läufen schnell Kohlehydrate zu sich nehmen – etwa gesüßten Tee oder eine Banane. "Bei rinnender Nase und Halsschmerzen sollte im Zweifel auf Sport verzichtet werden. Die beste Antwort geben hier das eigene Körpergefühl und der Hausverstand."
Und was sagt der Psychologe? "Frische Luft wirkt immer antidepressiv", bestätigt Experte Hautzinger, "und grundsätzlich sind sämtliche positiv erlebte Handlungen stimmungsaufhellend". Für manche seien Nichtstun und auf der Couch zu liegen angenehme Aktivitäten. "Wenn diese Handlungen über Tage andauern und zur einzigen Tätigkeit werden, bewirken sie allmählich das Gegenteil." Wichtig sei, zu wissen, was einem guttut: "Es sollte eine gewisse Vielfalt und Menge sein. Wenn es einem schwerfällt sich zu aktivieren, hilft planen und Freunde, Kollegen oder die Familie, miteinbinden."
Probier's mal mit Gemütlichkeit
Behaglichkeit, getragen von großen Keramikhäferln, warmem Tee, Kaminfeuer und Wollsocken – kurz: Hygge. Vor etwa drei Jahren war das dänisch-norwegische Lebensgefühl plötzlich in aller Munde. Für Dänen und Norweger ist es das Herzstück ihrer Kultur. Aus Skandinavien, wo die Winter besonders rau und lang sind, ist die Wohlfühlphilosophie zu uns übergeschwappt.
Mittlerweile dominiert in den Wintermonaten Kerzenlicht die heimischen Wohnzimmer. Weiche, kuschelige Materialien – Wolldecken, weiche Polster mit Baumwollbezügen oder Schaffelle – gehen mit gedeckten Farbakzenten eine behagliche Symbiose ein. Auch Naturstoffe wie Holz, Moos oder Kork und ihre verschiedenen Texturen passen ins gemütliche Konzept. Hygge geht auch durch den Magen: Süße Köstlichkeiten – ein warmer Kakao, Haferbrei mit Zimt, selbst gebackener Apfelstrudel mit Vanillesoße – erinnern an Omas Küche und tun der Seele gut.
Entspannen, zur Ruhe kommen, sich besinnen: Das ist alles schön und gut – die Realität sieht oft gerade in der (Vor-)Weihnachtszeit anders aus. Stress ist angesagt. "Stress hat meist mit schlechtem Zeit- und Ressourcenmanagement und überhöhten Ansprüchen, etwa Perfektionismus, zu tun", sagt Psychologe Hautzinger. Was hilft: Strukturieren, planen, Nein sagen und auch gezielter Rückzug. Letzteres mit Maß und Ziel: "Zu viel und zu langer Rückzug oder Vermeidung befördern das Wintertrübsal", weiß Hautzinger. Auch die Erwartungen bewusst herunterzuschrauben, sich Zeit für Hobbys und Ausgleich zu nehmen und Aufgaben abzugeben, lindert Stressgefühle.
Überdosis Sonnenvitamin
Fast jeder Zweite leidet in den lichtarmen Monaten an einem Mangel an Vitamin D. In der Wissenschaft stand das "Sonnenvitamin" in den vergangenen Jahren im Zentrum zahlreicher Forschungsdebatten. Krankheiten heilen kann das fettlösliche Vitamin, das großteils in der Haut unter Einwirkung von UVB-Licht gebildet wird, zwar nicht, aber es trägt dazu bei, die Gesundheit zu erhalten – darüber ist man sich mittlerweile einig. "In einer großen Analyse einzelner Studien konnte gezeigt werden, dass Vitamin D vor Atemwegsinfektionen schützt. Außerdem weiß man, dass das Immunsystem bei einem schweren Mangel nicht optimal funktioniert", sagt Karin Amrein, Endokrinologin an der MedUni Graz. In lichtreichen Monaten genügt es, 20 bis 30 Minuten pro Tag mit uneingeschmierten Armen und Gesicht in die Sonne zu gehen.
Durch die wenigen Sonnenstunden kommt es im Herbst und Winter in unseren Breiten meist zu einer Unterversorgung. "Wird per Bluttest ein Mangel festgestellt, können Ergänzungsmittel Abhilfe schaffen", erklärt Amrein. Vor allem für Risikogruppen und Kinder seien sie empfehlenswert. Als Vitamin-D-reiche Lebensmittel gelten fette Fische, Eier und Avocados.
Zum Schutz vor aufziehenden Erkältungskrankheiten sind auch Heilkräuter gewachsen. Etwa Salbei, Spitzwegerich, Quendel und Thymian – oder auch die schweißtreibenden Kräuter Mädesüß, Lindenblüten und Holler. Als Tee oder Badeaufguss entfalten sie ihre wohltuende Wirkung.
Kommentare