Wiedersehen nach 40 Jahren: Ein Dank, der die Zeiten überdauert
Die Welt war damals sehr anders. Der Kalte Krieg noch brennheiß, ein Ende nicht in Sicht. Und doch war 1979 die Gesellschaft längst auf dem Weg der Liberalisierung und interessierte sich für Welt und Mitmenschen. Die UNO hatte das „Jahr des Kindes“ ausgerufen, in dessen Geist die Rechte und das Wohl aller Kinder neu gestaltet werden sollten.
Der Vorarlberger Hermann Gmeiner hatte dreißig Jahre davor sein SOS-Kinderdorf gegründet, es war mittlerweile zur weltweiten Organisation gewachsen und besonders in Vietnam sehr aktiv. Dort war das Leben nach dem besonders grausamen Krieg und der Machtübernahme durch das siegreiche kommunistische Nordvietnam ein Elend. Armut und totalitäres Regime machten die Menschen zu Todgeweihten.
Wiedersehen in Tirol
Gestern schien in Tirol die Sonne, keine Wolke hinderte sie daran. Im SOS-Kinderdorf Imst trafen sich glückliche Menschen und dachten daran, wie sie 1979 zum ersten Mal hierher gekommen waren. Gmeiner hatte aufgerufen, vor allem Waisenkinder aus der Not Vietnams nach Österreich zu holen. Er war ein Charity-Marketing-Genie und fand starke Partner, vor allem den KURIER. Am 14. Oktober kamen die ersten 62 Menschen in Imst an: 23 Waisen und 22 Kinder mit sechs Müttern und einem Vater, dessen Frau auf der Flucht verstorben war. Männer wurden in Vietnam oft liquidiert, schon vor der Möglichkeit zu flüchten.
Caritas Präsident Michael Landau über Einsamkeit
Einige fanden dank endlich freier Kommunikationswege wieder Kontakt zu Verwandten, die in andere Teile der Welt geflüchtet waren. Andere blieben in Imst. Zumindest, bis binnen kürzester Zeit acht neue Häuser für sie in den SOS-Kinderdörfern Moosburg in Kärnten und dem burgenländischen Pinkafeld gebaut waren – finanziert durch die Aktion „KURIER hilft helfen“, auch dank der Spendenbereitschaft unserer Leserinnen und Leser. In den folgenden zwei Jahren kamen noch Flüchtlinge nach, sie alle konnten in Österreich Wurzeln schlagen.
Minh Tri Nguyen etwa leitet heute die Sozialberatung der Caritas in Innsbruck. Als er mit Geschwistern kam, war er sieben Jahre alt. „Ich bin vielen wohlwollenden Menschen begegnet, die mir Interesse an meiner Person entgegengebracht haben. Diese Offenheit und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, in Auseinandersetzung zu gehen und jeweils an der Andersartigkeit des Anderen zu wachsen, bilden für mich im Rückblick auf die vergangenen vierzig Jahre die Grundlage für meinen Werdegang.“ Der 47-Jährige brachte gestern in Imst auf den Punkt, warum die Gruppe privat dieses Dankestreffen organisiert hat: „40 Jahre zweite Heimat“ nannten sie es. Und so ist es. Minh: „Ich wünsche mir für unsere Gesellschaft von heute keine Romantik, die meistens in einen gegenteiligen Reflex der generalisierten Angst umschlägt. Sondern diese aufrichtige Haltung von damals.“
Nah an Vietnam
Vier Jahrzehnte später sind manche Details von damals verblüffend nah: Der Krieg hatte schon 1975 geendet, es gab unglaublich große Flüchtlingsbewegungen aus Vietnam. Auf völlig überfüllten, schwachen Booten gingen die „Boat People“ Risiken mit unmenschlich kleinen Erfolgsaussichten ein.
Aber die Welt half damals gerne, keiner weiß das besser als Helmut Kutin. Der heute 78-Jährige hat mehr als nur eine enge Bindung, er ist Teil dieser Geschichte. Kutin war nach Gmeiner 27 Jahre lang Präsident des weltweiten SOS-Kinderdorfs, sein Engagement begann 1968 in Vietnam. Er errichtete in einer schweren Kampfphase des Kriegs nahe Saigon das erste Kinderdorf im Land und rettete die 450 Kriegswaisen teils selbst aus Bombentrümmern. Vier Jahre später ein zweites Dorf im Hochland um Dalat. Nach dem Sieg des kommunistischen Nordvietnam weigerte sich Kutin, das Land ohne die Zusicherung zu verlassen, dass Kindern und Müttern nichts geschieht. Als er unter offener Bedrohung seines Lebens ein Jahr nach Kriegsende doch aus dem Land musste, erlebte er den schlimmsten Moment seines Lebens: „Die 500 Kinder und Kinderdorfmütter legten sich auf den Boden vor dem Tor des Dorfes, damit das Taxi nicht hineinkonnte. Ich musste über sie steigen, zu ihrem Schutz.“
Natürlich wurde Kutin gestern beim Dankestreffen oft umarmt. Minh und alle anderen nennen ihn meist so, wie Kutin in Vietnam von vielen genannt wird: „Bo“ – „Vater“. Zum Abschied von der zweiten Heimat blickten viele noch einmal auf das „Haus Frieden“. Es war das erste Haus, das Gmeiner 1949 eröffnet hatte. Das erste, das die Flüchtlingskinder 1979 gesehen haben. Es ist ein Haus aus einer Welt, die sehr anders war. Und für eine Welt, die gut sein kann.
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