#Metoo-Debatte: aufhören, bitte! Wirklich?

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Nur weil die Diskussion um sexuelle Übergriffe gerade ziemlich unübersichtlich wird, dürfen wir nicht damit aufhören. Sie ist eine Chance. Und dazu brauchen wir den Dialog mit allen Menschen. Und: mehr Empathie.

Die Reaktionen auf meine letzte Freizeit-Kolumne, die sich mit dem Thema "Lust und Freiheit" im Kontext von sexuellen Übergriffen und #metoo beschäftigte, waren zahlreich, und naturgemäß spannend. Einiges an Zuspruch, kritischen Einwürfen und auch: expliziter Hass, verpackt in Beleidigungen in Richtung sexuelle Frustration, Verklemmtheit oder Prüderie. Eine der interessantesten Reaktionen kam von einer Frau, die da schrieb: "Hoffentlich ist das alles bald wieder vorbei."

Ein, auf den ersten Blick, harmloser und nachvollziehbarer Satz, den eine andere Facebook-Userin drastischer in einer Direktnachricht mir gegenüber so formulierte: "Und wieder wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Ich kann’s nicht mehr hören." Beim Nachhaken folgten Antworten wie diese (nur ein Auszug): "Weil ich mich nicht mehr auskenne", "Weil die Diskussion dazu völlig chaotisch ist", "Weil ich meine Ruhe haben möchte" oder aber: "Weil das alles übertrieben ist". Sowie: "Mein Gott, die Frauen sollen sich halt wehren. Und aus. Ich hab‘ das Gerede und Gejammer satt. Aufhören bitte!"

Nun, ich halte das für keinen guten Gedanken. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich nämlich gerade um eine Debatte, die das Potenzial hat, gesellschaftspolitisch Grundlegendes zu verändern. Daher wäre es sinnvoll und sehr wichtig, würde sie weitergehen und nicht im Sand verlaufen. Es soll etwas Neues entstehen, ein neuer Konsens und Standard, eine Ära also, in der jeder Mensch (also Frau und Mann) seine individuelle Grenze ziehen darf und andere Menschen diese akzeptieren, nicht überschreiten und – falls es doch zu Grenzverletzungen kommen sollte – solidarisch hinschauen und handeln kann. Und das – völlig selbstverständlich.

Zwischen Hysterie-Alarm und Männer-Pranger

Das braucht nicht nur Zeit, sondern, im ersten Schritt, wohl auch die Zuspitzung, das Extreme, das Chaos, den so häufig angeprangerten "Empörismus", der gerade durch die Existenz der sozialen Medien phasenweise Himmel/Hölle-Dimensionen erreicht, in deren Rahmen es aktuell nichts mehr dazwischen, sondern nur mehr A oder B gibt. Eine Art falsches Dilemma, also – als Vorstellung, dass in dieser Debatte ausschließlich zwei Wahrheiten/Positionen existieren, weitere Möglichkeiten werden gar nicht mehr in Betracht gezogen und gesehen.

Und so sind wir auch hier an einem Punkt, wo sich die Positionen (irgendwo zwischen "Hysterie-Alarm! Frauen sollen sich nicht so anstellen und wehren" und "Alle Männer sind Schweine") dermaßen einbetonieren, dass a.) der zwingend nötige Dialog zwischen Frau und Mann sowie b.) die dringend nötige Klarheit zu den Fakten völlig verloren gehen.

Zunächst zu a.): Das ist nicht gut, weil es nur miteinander gelingen wird, Dinge zu verändern, heißt: Alle müssen reden, diskutieren – und zwar gemeinsam, nicht gegeneinander, sich in Anschuldigungen, Untergriffigkeiten, Verzerrungen verlierend. Das beginnt schon einmal damit, dass gemeinsam darüber nachgedacht werden sollte, warum die gesellschaftlichen Strukturen immer noch so angelegt sind, dass überwiegend Männer in Machtpositionen sitzen. (Und wer jetzt sagt: Das passiert doch schon, dann sage ich: Aber offenbar immer noch nicht ausreichend genug, sonst wären wir heute nicht an dem Punkt, wo wir gerade sind. Also: bitte nicht aufhören!) Es darf einfach nicht mehr mit dem nach wie vor gängigen "Ist halt so, war immer schon so, na und?" vom Tisch gefetzt werden (von beiderlei Geschlechtern) und es darf auch nicht, wie immer noch recht beliebt, verwitzelt, also ins Banale gezogen, werden.

Stattdessen braucht es einen tiefgreifenden, empathischen und gemeinsamen Nachdenkprozess zur Frage "Sexuelle Übergriffe lost in between Ignoranz, Toleranz und Akzeptanz". Ein diesbezügliches, gerne immer wieder in den Ring geworfenes, Sprechverbot für Männer und deren Verweis ins "Du hast da nix zu sagen"-Schweigeeck hätte allerdings die Folge, dass sich diese trotzig zurückziehen, nichts mehr beitragen und sich ihrer Verantwortung entziehen, nach dem Motto: "Macht doch!" Statt möglicher Evolution entsteht noch mehr Verunsicherung.

Die Feministin Andi Zeisler sagte in einem SPIEGEL-Interview, dass sie es gerecht findet, dass Männer jetzt über ihr Verhalten nachdenken müssten: "Nicht alle Männer sind Vergewaltiger, das ist völlig klar. Aber wer argumentiert: Ich bin es nicht, und es ist auch nicht mein netter Arbeitskollege und nicht mein Fußballfreund, es sind immer die anderen, die, die mir fremd sind – der stützt trotzdem bestimmte Strukturen. Das ist ein Problem." Ein Lichtblick ist jedenfalls, dass eine neue Generation junger Menschen – Frauen, Männer – existiert, die neu und anders denkt, und die sich, der Harmonie und des Konsens Willen, nicht mehr alles gefallen lässt. Das gehört von den Vorgänger-Generationen, den Älteren, die anders sozialisiert wurden, beachtet, anerkannt und gefördert.

Zu b.) Und schließlich wäre es der Diskussion zuträglich, würde wieder mehr Klarheit zu Begrifflichkeiten und Fakten der Debatte geschaffen. So wie es KURIER-Autorin Angelika Hager (Polly Adler) in einem Interview mit Kollegin Ida Metzger skizzierte, wird derzeit "viel in einen Topf "geschmissen: "Im Moment wird alles, was Frauen widerfahren ist, total vermischt. Vergewaltigung, Belästigung, herrenwitzige Komplimente oder Erlebnisse wie 'Ein Busfahrer hat mir 1996 ans Knie gefasst' werden in dieselbe Schublade geworfen. Auch bei den Männern, die nun an den Pranger gestellt werden, wird die Schwere der Delikte nicht mehr differenziert.... Diese Gleichschaltung der Vergehen und Delikte ist gefährlich". Das könnte tatsächlich dazu führen, dass der Diskurs recht rasch als inflationär empfunden wird, sich Menschen von der Thematik überlastet und genervt abwenden und nicht mehr bereit sind, auch nur ein bisschen darüber nachzudenken oder aber an Veränderung mitzuwirken.

Wenn Fakten ignoriert werden und Halbwissen kursiert

Denn es ist auffällig, wie viel an Fakten ignoriert, wird, wie viel Unwissen/Halbwissen existiert. Natürlich darf niemand von sich behaupten, die Wahrheit für sich in Anspruch zu nehmen. Doch wenigstens bestehende Fakten sollten gesehen und in die eigenen Gedankengänge einbezogen werden, bevor etwas in die Tasten geklopft und via Social Media ins Netz geblasen wird.

Aus meiner Sicht besonders wichtig und zentral ist der Ausganspunkt der Diskussion. Nämlich die Thematik "Sexueller Übergriff im Rahmen von Machtverhältnissen". Längst ist man jedoch in den sozialen Medien und privaten Diskussionen im Freundeskreis an dem Punkt, wo herumironisiert wird, ob es jetzt nicht mehr möglich sei, einander gegenseitig ein Herzerl zu schicken oder mit „Schatzi“ anzusprechen. Was viele nicht bedenken: Hier werden all jene Opfer verhöhnt, die im Rahmen eines Machtgefälles, tatsächlich in die unangenehme Situation gekommen sind, sich von einem Vorgesetzten belästigt oder bedrängt zu wissen. Eine Verzerrung in die falsche Richtung – denn natürlich ist alles erlaubt, wo Einvernehmlichkeit herrscht, ein Konsens, ein Miteinander.

Für problematisch halte ich außerdem das derzeit so gerne zitierte "Ohrfeigen"-Argument: "Dem hau ich halt eine runter!". Hut ab, vor jeder/jedem, der seinem Chef eine klebt, wenn der sich vergreift. Und Hut ab vor jenen, die in der Folge bereit sind, sich dem Irrsinn zu stellen, der mit einer Öffentlichmachung verbunden ist – bis hin zur Täter-Opfer-Umkehr, Lächerlichmachung, Repression.

Was mich hier sehr irritiert, ist die mangelnde Empathiefähigkeit, sogar seitens der Frauen. Stattdessen Abwehr, wohl auch im Bestreben, ja nicht an der Opferrolle anstreifen zu wollen. Mit dem Konstrukt "Ohrfeige" wird eine Idee erschaffen, sich zu erheben, stark zu wirken, anders zu sein, unangreifbar, Motto: #fuckyou. Was auf Augenhöhe ja ganz gut funktionieren mag, aber eher weniger im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses. Dazu kommt, dass es ganz unterschiedliche Persönlichkeiten gibt: Nicht jeder hat die Kraft, den Mut, die Struktur, laut und stark für sich und gegen einen anderen einzutreten. Deshalb ist man nicht gleich jemand, der sich bewusst in der Rolle des Opfers gefällt.

In einem KURIER-Artikel von Kollegin Julia Pfligl ärgert sich Barbara Ille, diplomierte Sozialarbeiterin, Psychotherapeutin und stellvertretende Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, über die "doppelte Botschaft", die im Zuge der aktuellen Debatte medial vermittelt wird: "Einerseits heißt es, warum haben die Frauen nicht schon viel früher etwas gesagt. Andererseits wird angezweifelt, was sie sagen – zuletzt ja sogar von prominenten Damen, die in der Öffentlichkeit stehen. Das macht es Opfern noch schwerer, Übergriffe zu benennen und publik zu machen."

Abgesehen davon darf man schon auch die Frage stellen: Warum genau sind es die Frauen, die sich hier ständig Strategien einfallen lassen müssen, um Übergriffe abzuwehren?

Und noch ein Warum: Warum ist es so en vogue, andere runter oder klein zu machen? Mag sein, dass ich sozialromantisch bin (So bin ich eben!), aber ich sehne mich nach mehr Verständnis, nach Solidarität und nach Menschen, die innehalten, um sich in andere Menschen einzufühlen. Und wie wär’s mit Mentoring von Seiten der offenbar so "Starken"? Statt andere schlecht zu machen oder noch mehr zu schwächen, wäre es doch eine viel bessere Idee zu sagen: "Hey, ich unterstütze dich, ich stärke dich. Was kann ich tun?" Aber vielleicht wäre das ja weniger spektakulär.

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