Salzkammergut - Region voller Widersprüche: Einblicke eines Insiders

Salzkammergut - Region voller Widersprüche: Einblicke eines Insiders
Essay: Das Salzkammergut, Europas Kulturhauptstadt 2024, ist voller Widersprüche. Einblicke eines Insiders, der seit vielen Jahren dort ansässig ist und es über alle Grenzen hinweg schätzt.

Das Salzkammergut ist wahrscheinlich die erste Kulturhauptstadt Europas, bei der man nicht sicher sein kann, ob sich die Einheimischen wirklich freuen, wenn viele Gäste kommen. Was einem gehört, will man ja nicht immer teilen. Und das Salzkammergut zählt zu den schönsten Besitztümern, die es weltweit gibt.

Generationen von Literaten haben sich an der Pracht und Dramatik dieser Gegend abgearbeitet, wesentliche Maler haben erkennen müssen, dass ihre eigenen Farben nie heranreichen werden an die dort in der Natur vorhandenen, und auch für Komponisten war die Region stets Inspiration für den Facettenreichtum und die Schattierungen ihrer Kompositionen. Das Salzkammergut ist farblich „50 shades of green“, „50 shades of blue“, es klingt nach Mahler und ist manchmal rau wie Schönberg. Es ist all das (und all das geblieben), was andere Sommerfrische-Gegenden gerne wären.

Voller Widersprüche

Das Salzkammergut ist aber auch voller Widersprüche – insofern passt es dazu, dass es die erste Kulturhauptstadt ist, die keine Stadt ist (wenn wir jetzt von Bad Ischl als zentralem Teil des Kulturhauptstadtprojektes einmal absehen).

Das Problem fängt schon bei der Definition an, wo das Salzkammergut beginnt und, vor allem, wo es endet. Jemand aus dem Inneren Salzkammergut, also um den Hallstätter See oder um Aussee, wird nur die Nase rümpfen, wenn sich die Menschen rund um den Attersee als Teil des Salzkammerguts empfinden. Womit wir bei einer essenziellen Eigenschaft wären, die im Salzkammergut noch stärker zu beobachten ist als in anderen Regionen Österreich: der Abgrenzung.

Nicht eines, viele

Was hat Ebensee schon mit Gmunden zu tun, auch wenn beide Orte am selben See liegen (der lateinische Name Lacus Felix, glücklicher See, ist übrigens viel passender als der deutsche mit Traun-)? Wieso sollten Tourismusbüros über die Ufer hinweg kooperieren, solange Mikromanagement funktioniert? Und auch Kulturfestivals sind nicht primär auf Zusammenarbeit aus, was man bei den Vorbereitungen zum Kulturhauptstadtjahr bemerkte.

Das Salzkammergut ist also nicht eines, sondern viele, die Salzkammergüter sozusagen. Es ist Brandauer und Conchita, Welser-Möst und von Goisern, es ist Berg und Tal, Wasser und Erde, Saibling und Hirsch, Wirtshaus und Wanderhütte – und immer wieder ist es verblüffend, dass bei aller Überwindung der Genregrenzen die Grenzziehung am Ende doch so wichtig ist. Und das über Jahrhunderte hinweg, denn richtig dazuzählen tut man in einigen Gegenden ohnehin frühestens ab der vierten Generation.

Regionaldirndl

Abgrenzung heißt aber im Salzkammergut, anders als in der Politik, nicht zwingend, gegeneinander zu sein, der andere ist zunächst einmal wurscht. Abgrenzung beginnt beim Zurschaustellen der eigenen Schönheiten und Qualitäten. Dazu zählt, als wesentliches optisches Differenzierungsmerkmal, die ortsspezifische Tracht, das regionale Dirndl. Und man kann Gexi Tostmann und nunmehr ihrer Tochter Anna, im Äußeren Salzkammergut in Seewalchen am Attersee ansässig, gar nicht hoch genug anrechnen, dass sie die Tracht als Kulturgut zelebrieren, als Teil der Geschichte unseres Landes, und längst aus dem rechten Eck herausgeholt haben.

Aufnahme von Hallstatt 1930 mit Frau im Dirndl

Hallstatt 1930: Das Dirndl gehörte immer in jeden Kleiderkasten.

Rechts oder links ist an einer Tracht nur, wo die Schürze beim Dirndl gebunden wird – rechts bei verheirateten oder verlobten Frauen, links bei ungebundenen. Die Tracht ist im Idealfall einfach schön, und sie wird im Salzkammergut total cool getragen, zum Beispiel mit Sneakers. Auch da grenzt sich diese Region ab, nur Zugereiste tragen sie von oben bis unten perfekt. Auch in dieser Hinsicht ist das Salzkammergut das Original und die Antithese zu Oktoberfesten.

Watschenaffäre

Sehr vielfältig ist das Salzkammergut auch bezüglich der politischen Haltung, es gibt tatsächlich starke rote Regionen (und das in Oberösterreich!). Aber auch das hat, wie alles im Salzkammergut, historische Wurzeln. Schon zu Kaiserzeiten gab es monarchistische Zentren, natürlich Bad Ischl oder die Region um den Traunsee, während es etwa am Attersee mehr um die Kunst und das Bürgertum ging.

Völlig uneinig ist man sich über den Umgang mit Geschichte und deren Aufarbeitung, und es ist bezeichnend, dass die Watschenaffäre zwischen einem Journalisten und einem Wirten in Ebensee – an der Grenze zwischen Äußerem und Innerem Salzkammergut – ausbrach.

Welcher ist der schönste See?

Total gespalten ist man auch angesichts der Frage, welcher See der schönste sei, dabei wäre die Antwort so leicht: jeder auf seine Art. Bestünde Österreich nur aus dem Salzkammergut, wäre es immer noch eines der schönsten Länder der Welt. Es herrscht Beauté im Überfluss, ein ästhetisches Schlaraffenland, landschaftlich und architektonisch, von prachtvollen Seevillen bis zu den alten Bauernhäusern (wenngleich auch hier der Bausünden mehr und mehr werden).

Das Kulturhauptstadtjahr ist ein guter Grund, das Salzkammergut zu besuchen. Aber es ist genauso gut, im nächsten Jahr zu kommen oder in zehn oder zwanzig Jahren. Denn es wird sich bis dahin wohl wenig geändert haben.

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