Promi-Ärztin Millesi: "Diese großen Lippen und Brüste habe ich abgelehnt"
Interviews gibt sie eigentlich gar nicht gerne. „Mit den Händen bin ich geschickter, als mit dem Mundwerk“, sagt sie schmunzelnd vor der Aufnahme im TV-Studio.
KURIER: Was bedeutet Schönheit für Sie?
Dagmar Millesi: Schönheit bedeutet für mich Harmonie. Das hat schon kein Geringerer als Leonardo da Vinci beobachtet und die Körperrelationen zueinander bestimmt, die ein schönes Aussehen ausmachen: Zum Beispiel sollte der obere, der mittlere und der untere Teil des Gesichts jeweils ein Drittel ausmachen. Sind die Relationen verschoben, wirkt das Gesicht „unschön“.
Was macht denn einen guten plastischen Chirurgen aus?
Eine fundierte, breit gefächerte Ausbildung und viel Routine. Ich halte es für einen Irrweg, wenn junge Kollegen so schnell wie möglich ihre Facharztausbildung abschließen, sofort in die Praxis gehen und glauben, dann schnell viel Geld verdienen zu können.
Apropos junge Kollegen: Stört Sie, dass Work-Life-Balance so wichtig geworden ist? Sie galten ja als „Arbeitstier“.
Ich habe bis zu 15 Stunden am Tag und jedes Wochenende gearbeitet. Den Beruf habe ich als Erfüllung empfunden und verstehe nicht, warum das Privatleben jetzt so viel wichtiger geworden ist. Wer nur 20 Stunden in diesem Beruf arbeitet, erwirbt nicht die Routine, es leiden Qualität und Patienten-Nachbetreuung.
Entwickelt sich das Gesundheitswesen gerade nachteilig? Ja.
Warum mögen Sie den Begriff „Schönheitschirurgie“ nicht?
Weil ja Schönheit nicht operiert wird. Außerdem bezeichnen sich viele als Schönheitschirurgen, denen die Qualifikation dafür fehlt.
Die Seitenblickegesellschaft ist voller Frauen, seltener auch Männer, die sich durch zu viel Botox und zu viel ästhetische Chirurgie nicht zu ihrem Vorteil verändert haben. Sind das Kunstfehler?
So würde ich es nicht bezeichnen. Aber es ist wichtig, sich als plastischer Chirurg ethische Grenzen zu setzen. Das Fach dient ja dazu, jemanden zu verbessern, aber nicht zu verändern. In den USA gab es eine MTV-Serie „I want a famous face“. Da wurden Hinz & Kunz nach dem Vorbild von Brad Pitt und anderer Stars verändert. Absolut verwerflich!
Haben Sie denn selbst Patienten abgelehnt?
Natürlich! Man muss sehr viele Patienten ablehnen. Es kamen immer wieder welche mit Fotos von Stars, die so aussehen wollten. Und wenn eine Frau eine größere Brust haben will, nur weil sie ihr Mann mit einer großbusigen Frau betrügt, wird die Ehe dadurch nicht zu retten sein. Man sollte auch Patientinnen mit völlig falscher Erwartungshaltung nicht operieren. Diese großen Lippen und großen Brüste, die jetzt modern sind, habe ich abgelehnt.
Sind die Patienten auch eine Visitenkarte für den jeweiligen Operateur?
Es ist nur leider so, dass jemand besser aussehen will, ohne dass man es merken soll (lacht). Das macht einen guten plastischen Chirurgen aus. Man sollte keine Einheitsgesichter schaffen, wie das jetzt teilweise der Fall ist. Vor allem: Jeder chirurgische Eingriff ist ein irreversibler Eingriff. Und wir sollen nicht zum Erfüllungsgehilfen der Patienten werden.
Sind manche Frauen süchtig nach immer mehr Botox, immer mehr Eingriffen?
Ja, daher obliegt es dem Arzt, zu sagen: „Halt, es reicht.“ Der Patient, der sich jeden Tag im Spiegel sieht, hat keine Distanz mehr zu seinem Aussehen.
Salon Salomon: Dagmar Millesi, Plastische Chirurgin
Will denn niemand sein altes Gesicht zurück?
Nein, eigentlich nicht. Sie wollen eher immer noch mehr.
Nimmt die Klagsfreudigkeit von Patienten zu?
Ja, wie in den USA. Daher scheuen Ärzte zunehmend riskante Eingriffe, und daher gibt es zum Beispiel auch mehr Kaiserschnitte aus Angst vor negativen Folgen bei Geburten.
Sie waren eine Pionierin in der Chirurgie, Frauen gab es damals kaum. Wie schwierig war das?
Am Beginn meiner chirurgischen Ausbildung teilte mir mein Chef mit, dass er keine Frauen an der Abteilung wolle, weil das für Unruhe sorge. Bei einer Feschen würden sich die Männer wie Gockeln aufführen. „Und wenn’s a Schiache is, is a falsches Luder.“ Das waren seine Worte. Ich war damals tatsächlich die Einzige, habe besonders viel gearbeitet, bin als Ledige und Kinderlose immer für Dienste eingesprungen. Als Belohnung durfte ich dann assistieren, bin also viel in den OP-Saal gekommen. Später, als ich dann Oberärztin im Wiener AKH war, gab es nur sieben Prozent Frauen in den chirurgischen Fächern. Man stellte sie oft ab zur Studentenbetreuung, in der Ambulanz oder zu Visiten. Wenn im Nachtdienst dann ein schwieriger Fall kam, waren sie natürlich gelegentlich etwas überfordert.
Wie sind Sie denn zu diesem Fach gekommen?
Ich wollte Psychiaterin werden und war im Turnus auch auf der geschlossenen Männerabteilung. Damals gab es noch keine Gesprächstherapie, sondern nur Medikamente, Elektroschocks, Zwangsjacke. Damit wollte ich mich aber nicht die nächsten 40 Jahre beschäftigen. An der chirurgischen Abteilung habe ich mein handwerkliches Geschick bemerkt. Und die plastische Chirurgie hat mir aufgrund meines künstlerischen Talents am besten gefallen.
Sie haben dadurch auch Ihren Mann kennengelernt, den plastischen Chirurgen Hanno Millesi, eine Koryphäe in der Mikro- und Nervenchirurgie. Wie sehr hat er Sie beeinflusst?
Er war ein großes Vorbild. Ich habe von ihm Stressresistenz, Patientenbetreuung, chirurgische Techniken und Belastbarkeit gelernt. Er hat bis in die Morgenstunden operiert, wenig geschlafen, viel wissenschaftlich gearbeitet und bis 90 gearbeitet.
Was war Ihre schwierigste OP?
Wir haben uns zum Beispiel um Armlähmungen als Folge von Motorradunfällen gekümmert, wo das Nervengeflecht aus dem Rückenmark ab- oder ausgerissen ist. Das sind sehr anspruchsvolle Operationen, die bis zu 20 Stunden dauern.
2021 sind Sie mit 66 in Pension gegangen. Vermissen Sie etwas?
Nein, ich habe jetzt ein anderes Leben.
Sie haben 2019 den bekannten, ebenfalls verwitweten Tenor Heinz Zednik geheiratet und laden nun gemeinsam Stars aus der Opernwelt ein. Haben Sie die Rolle als Gastgeberin neu entdeckt?
Ja. Dafür hatte ich früher nie Zeit. Ich bemühe mich, Künstler, Mediziner, Politiker zusammenzubringen.
Sie sind also eine Art Saloniere?
Könnte man fast sagen, in kleinem Maße. Dadurch habe ich auch das Kochen entdeckt und die Tischdekoration. Das hat mit Ästhetik und damit wiederum mit meinem Beruf zu tun.
Wird in diesen Runden dann auch über das Regietheater gelästert?
Natürlich. Wobei das Regietheater nicht immer schlecht ist. Leider werden dadurch aber oft Stücke zerstört, wie man ja aktuell auch bei Don Carlo in der Wiener Oper sieht. Eine schreckliche Inszenierung! Ein Werk derartig stark zu verändern, ist eine Respektlosigkeit gegenüber Komponisten und Schriftstellern.
Sie sind bekennende „Opernnärrin“ und seit Jahren Statistin an der Wiener Oper. Was reizt Sie daran?
Es ist ein Erlebnis, mit den Stars auf der Bühne zu stehen und mit den Philharmonikern in der Kantine zu sein.
Welche Figuren haben Sie verkörpert?
Ich war unter anderem Nonne und Page in der Tosca, Pariser Vorstadtdame in der Boheme, „gemeines Volk“, „leichtes Mädchen“ mit einer Blume im Haar und Schmugglerin in der Carmen.
Zur Person
Dagmar Millesi war Fachärztin für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie. Sie arbeitete im In- und Ausland (u. a. in Taiwan) und war Oberärztin an den Universitätskliniken Wien und Innsbruck. 1996 gründete sie ihre eigene Praxis in Wien, leitete die Abteilung für plastische Chirurgie an der Privatklinik Döbling und eröffnete später auch eine Ordination in Pörtschach. im Jahr 2021 ging sie in Pension.
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