Heimkommen: Wenn man zu Weihnachten in alte Rollen fällt

Chris Rea 2017 bei einem Konzert in Wien.
Advent-Rituale, Teil 21: Wie sich die Rückkehr in das Elternhaus auf unser Verhalten auswirkt.

Den Soundtrack zum heutigen Weihnachtsritual liefert Chris Rea: I’m driving home for Christmas, singt er in seinem fröhlich-dahinplätschernden Hit aus dem Jahr 1999, I can’t wait to see those faces – Ich fahre heim für Weihnachten, ich kann es nicht erwarten, diese Gesichter zu sehen. Ein Gefühl, das viele dieser Tage nachvollziehen können: Die Rückkehr ins Elternhaus ist nicht nur für Studenten ein Fixpunkt vor Weihnachten. Von den gut 320.000 „Zuagroasten“ aus den Bundesländern lässt ein Großteil in den kommenden Tagen Wien hinter sich, die Stadt wirkt spätestens ab dem 23. leerer, dafür sind die Züge überfüllt. Weihnachten, das heißt auch Heimkommen, in das Haus, in dem man aufgewachsen ist. Das heißt in vielen Fällen: im Kinderzimmer schlafen, sich bekochen lassen, wenn möglich den ganzen Tag Pyjama tragen und das langsame W-Lan auf dem Land beklagen.

Wieder Kind

Es ist ein Phänomen, dass man ungeachtet des Alters und der Tatsache, längst einen eigenen Haushalt zu führen, wieder zum Kind mutiert, sobald man die Schwelle zum Elternhaus überschreitet. „Gewohnte Situationen rufen Gewohntes in uns hervor“, erklärt die Psychologin Christa Schirl: „Ähnlich wie bei einem Klassentreffen, schlüpft man, obwohl die Schule vorbei ist, wieder in alte Rollen. Diese Rollen sind sehr gut gelernt, weil sie in der Kindheit oft geübt wurden. So ruft zum Beispiel die Küche der Eltern in manchen Erwachsenen ‚das Kind‘ hervor, und man lässt sich wieder bedienen.“

Zu Weihnachten sehnen wir uns nach dem Gewohnten, dem Vertrauten – dabei müsse man auch der Veränderung Raum geben, sagt die Psychologin. „Wir verändern uns, unsere Eltern werden älter, es kommt jemand dazu, jemand fällt weg. Darum ist Weihnachten immer wie ein Markierungsstein, der einerseits Traditionen signalisiert, gleichzeitig aber auch Änderungen sichtbar macht.“

Auszeiten nehmen

Das ungewohnte, tagelange „Aufeinanderpicken“ der Generationen kann freilich auch zu Konflikten führen. „Zu viel Nähe gepaart mit Rücksichtnahme auf andere ist auf Dauer nicht zu halten“, sagt Psychologin Schirl. Sie rät daher, während des „Heimaturlaubs“ immer wieder Pausen von Familientreffen einzuplanen. „Das kann ein Spaziergang sein oder es sich einfach einmal mit der Zeitung gemütlich machen. Jede Beziehung braucht Nähe, aber auch Distanz. Erst aus der Distanz heraus ist wieder Zuneigung möglich.“

Apropos Distanz: Davon hatte Alexander Gerst (42) im vergangenen Jahr genug. Sechs Monate verbrachte der deutsche Astronaut auf der Internationalen Raumstation ISS, gestern kehrte er – just vier Tage vor Weihnachten – auf seinen Heimatplaneten zurück. „Ich werde als Sternschnuppe nach Hause kommen“, kündigte er wenige Tage zuvor via Twitter an. Bei diesen Worten kann selbst Chris Rea einpacken.

 

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