Wie die "KURIER-Familie" aus Kiew Weihnachten feiert
Weihnachten, keine Frage: im Kreis meiner Familie, die ich über alles liebe. Dann aber wohl auch diese Geschichte: eine Geschichte, die heuer der KURIER geschrieben hat. Es ist die Geschichte von Svitlana, ihrem Mann und ihren drei Kindern.
Im Rückspiegel: Elf Tage nach den ersten russischen Bomben auf die Ukraine setzten sich der Fotograf Mario Lang und ich in Wien ins Auto. Unser Ziel: ungarische und slowakische Grenzübergänge zur Ukraine. Mein ältester Freund, der Fotograf meinte noch: „Es wäre unehrenhaft, eine Reportage mitzunehmen, aber keine Menschen, die zu uns nach Österreich möchten.“
Leichter gesagt. Am Montag, dem 7. März, gegen 18 Uhr sah es nach zig Telefonaten mit einer ukrainischen Bekannten in Wien so aus, als müssten wir „absolut unehrenhaft“ heimfahren. Doch dann diese Nachricht aus Wien auf dem Handy: Der Plan ist, dass sie in 2,5 bis 3 Stunden zur Grenze kommen.
Wir drehten um, fuhren zurück zur Grenze, unsicher, ob unser Plan tatsächlich gelingen kann.
Gegen 22 Uhr kamen sie – direkt auf uns zu: Svitlana, ihre Kinder Georgii (12), Margarita (10) und Daniel (8), und der schwarze Labrador Abi. Diesen Augenblick werde ich nie vergessen, er war auch auf der Sonntags-KURIER-Titelseite vom 13. März zu sehen.
Unsere gemeinsame Fahrt nach Österreich war dann die Fahrt auf einer emotionalen Achterbahn. Die Kinder schliefen, wir schwiegen, mit unzähligen Fragen im Kopf.
Viel ist seit damals passiert. In der Ukraine, hier in Österreich. Vor ein paar Tagen folgte Svitlana der Einladung des KURIER-Medienhauses – und kam zu unserer Weihnachtsfeier. Tags darauf durfte ich sie, ihre Kinder und ihre Quartiergeber in Mauerbach bei Wien besuchen.
„Ich habe den KURIER-Bericht gelesen und aus dem Bauch heraus entschieden“, erzählte dort die in Mauerbach hoch angesehene Unternehmerin Ingeborg Biegler. Mit ihrem Sohn Werner Biegler führt sie den gleichnamigen medizintechnischen Betrieb mit vierzig Mitarbeitern. Im Frühjahr stellten die beiden eine Vier-Zimmer-Wohnung für die vierköpfige Familie aus Kiew zur Verfügung, die zuvor noch im Eiltempo komplett renoviert worden war. „Das war schon ein Stress für uns. Aber ich bin unter den gegebenen Umständen sehr dankbar.“ Ihr Sohn nickte zustimmend: „Bei uns haben sich echte Freundschaften ergeben.“
Und es nickte auch der Bürgermeister Peter Buchner. Der Mann im karierten Hemd hat selbst die Reisepässe abgeholt und alle Anmeldungen bis hin zu den Schulen der Kinder in die Wege geleitet.
Im März, im Auto nach Österreich, gebot es der Anstand, nicht viel zu fragen. Eine Mutter und Ehefrau hatte sich soeben von ihrem Mann verabschiedet. Der Vater ihrer Kinder musste zurück – an die Front.
Damals gab es auch noch die Hürde der Sprache. Doch Svitlanas täglicher Besuch eines Deutsch-Kurses in St. Pölten zeigt Wirkung: Der Familie Biegler, dem Herrn Bürgermeister und den KURIER-Lesern möchte sie zu Weihnachten etwas sagen, und sie kann das zum Teil auf Deutsch: „Vor dem Krieg kannte ich nur die Berge Österreichs. Heute kenne ich auch einige Menschen in diesem Land. Ich habe sie in mein Herz geschlossen.“
Stille. Räuspern. Svitlana rührt uns heuer nicht zum ersten Mal. Was sie uns auch auf Deutsch sagen kann: Dass sie nicht nur Physiotherapeutin ist, sondern auch Kunsthistorikerin und Drehbuchautorin.
Und es gibt weitere gute Nachrichten aus Mauerbach: Die Kids sind ordentlich gewachsen und gut in ihren Schulen integriert. Gehen auch in die Musikschule, der nicht mehr so verspielte junge Labrador indes in die Hundeschule. Durch Vermittlung des Bürgermeisters wurden die Augenärztin Tetiana, die mit ihrem deutschen Mann Hans-Dirk aus Odessa nach Mauerbach geflüchtet war, und Svitlana bekannt. Und beste Freundinnen.
Und wenn alles gut geht, dann wird Svitlana Anfang April bei der praktischen Ärztin Marieta Grigorova in Mauerbach zu arbeiten beginnen. Was auch die Ärztin sehr freuen würde: „Dann könnte ich wieder Physiotherapie anbieten.“
Nicht vergessen wollen wir hier auf die Kosmetikerin Claudia Paur, ihren Vater und ihren Sohn, die bis Mai ihre Wohnung in Ternitz für die KURIER-Familie geöffnet hatten. Sie sind ebenso wichtige Akteure unserer Geschichte.
Ist damit alles gut? Viel ist gut, aber nicht alles. Svitlana hat ihren Mann Wolodimir seit dem 7. März nicht mehr gesehen. Sie zeigt Fotos auf ihrem Telefon. „Ja, er lebt. An der Front, in einem Wald bei Charkiw.“ Sein Vorgesetzter wurde von einer russischen Granate zerfetzt. Ihrem Vater musste in Kiew ein Bein amputiert werden. Und sie hat Angst, dass ihrer Schwester, die in Kiew geblieben ist, was zustoßen könnte.
Svitlana lächelt. Tapfer. Eines Tages, machen wir uns aus, werden wir gemeinsam feiern. In Kiew ...
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