Warum man im Fasching nicht unbedingt als Mexikaner gehen sollte
Was haben ein arabischer Stammesfürst, eine vietnamesische Reisbäuerin, ein „sexy Eskimo-Girl“ und ein Bollywood-Tänzer gemeinsam? Sie sind allesamt mit genau diesen Bezeichnungen in Onlineshops als Kostüme für die Faschingszeit erhältlich.
Wer eher dem afrikanischen Kontinent zugetan ist, der wird ebenfalls schnell fündig. „Du liebst Afrika, die dortige Kultur, Landschaft und Tierwelt? Dann solltest du dich unbedingt für eines unserer Afrika- und Safarikostüme entscheiden“, preist eine Website ihr Sortiment an. Zu kaufen gibt es Afro- und Rasta-Perücken, Bongotrommeln, Knochenketten und natürlich schwarzes Make-up fürs themengerechte Blackfacing (weiße Haut schwarz schminken, Anm.). Klingt aus der Zeit gefallen? Ist es auch. Und vor allem ist es kulturelle Aneignung.
Nur geliehen?
„Der Begriff kulturelle Aneignung ist nicht einfach zu definieren und Teil einer langen politischen Debatte“, erklärt Estella Weiss-Krejci, Dozentin an der Uni Wien und Forscherin am Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Im Prinzip verstehe man darunter „das Aneignen von Symbolen und kulturellen Errungenschaften bzw. das Kopieren von Stilen anderer ethnischer Gruppen“.
Während die Aneignung von Objekten allgemein als Diebstahl gilt – weshalb etwa heute einige Museen Objekte aus Kolonialkontexten zurückgeben – „wird die Aneignung von Symbolen, Stilen und Errungenschaften einer anderen Gruppe oft nur als Ausleihen empfunden“, erklärt sie.
Kulturelle Aneignung oder „cultural appropriation“, wie der englische Originalbegriff lautet, ist dabei keineswegs eine Erfindung des 21. Jahrhunderts. „Sie ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst und hat auch viele positive Seiten“, erklärt die Expertin.
In der Vergangenheit wurden stetig kulturelle Errungenschaften anderer Gruppen verwendet und weiterentwickelt. Da es schon zu lange her ist, seien wir uns dessen gar nicht mehr bewusst. „Problematisch wird es dann, wenn man Stile und Symbole benachteiligter und diskriminierter Gruppen ‚ausleiht‘ und in einen neuen Kontext bringt. Vor allem, wenn diese Gruppen nicht damit einverstanden sind und sich dadurch sogar beleidigt oder verletzt fühlen.“
Marginalisierte Gruppen
Dem schließt sich auch Noomi Anyanwu, Sprecherin des Black-Voices-Volksbegehren, an. Schließlich übernimmt in der Regel die dominierende Gesellschaft, zumeist weiße Menschen, gewisse Aspekte einer marginalisierten Gruppe. „Man eignet sich etwas an, verweist nicht auf den Ursprung und entlohnt die originalen Ideen und Konzepte nicht – weder finanziell, noch durch Anerkennung oder Erwähnung“.
Kritik wurde in der Vergangenheit erst laut, wenn sich jemand mit der Aneignung gewisser Elemente soziale oder finanzielle Vorteile verschafft, erklärt Weiss-Krejci. So wie kürzlich das Modelabel Proenza Schouler, das für seine Kollektion Hawaiianische Leis (traditioneller Halsschmuck, Anm.) „mit einem modernen Auge“ neu designte und für 1.500 US-Dollar zum Verkauf anbot.
Anyanwu nennt ein weiteres Beispiel: „Wenn man daheim aus einem Interesse für andere Kulturen heraus ein Gericht nachkocht, ist das etwas Schönes.“ Wenn allerdings Starköche wie Jamie Oliver Millionen damit verdienen, Gerichte aus der ganzen Welt nachzukochen und nie dazusagen, woher sie diese haben, sei das problematisch.
Aneignung vs. Wertschätzung
Nun ist in einer globalisierten Welt ein gewisses Maß an Aneignung natürlich nicht zu vermeiden. In der Debatte gehe es auch nicht darum, dass sich Kulturen keinesfalls vermischen dürfen, betont Anyanwu. Kulturelle Wertschätzung könne auch positiv sein, wenn beide Seiten davon profitieren, man „marginalisierte Gruppen sprechen lässt und der Austausch auf Augenhöhe stattfindet“. Es dürfe jedoch nicht einfach einer Kultur etwas weggenommen und neu vermarktet werden.
Ist man sich selbst nicht sicher, ob man sich gerade ein Element einer anderen Kultur aneignet oder seine Wertschätzung zum Ausdruck bringt, solle man sich fragen: „Woher habe ich das, von wem lerne ich das, und wie geht es dieser Kultur damit?“ Sollte man beispielsweise als weiße Person wirklich Dreadlocks tragen, auch wenn sie einem gefallen?
Parallel werden nämlich schwarze Menschen genau dafür diskriminiert und haben etwa am Arbeitsmarkt schwerer zu kämpfen, wenn sie Afro, Dreadlocks oder Braids tragen. Weiße Menschen müssen sich also darüber bewusst sein, dass sie nicht mit diesem Rassismus konfrontiert werden – auch wenn sie die Frisuren kopieren.
Dasselbe trifft auf Kopftücher zu: „Wenn weiße Menschen ein Kopftuch tragen, weil es schön oder trendy ist, picken sie einen Teil der Kultur raus und werden dafür gefeiert, ‚weil es bei ihnen schön aussieht‘. Für muslimische Frauen gilt das jedoch nicht“, erzählt Anyanwu weiter. „Als weiße Person kann man abends das Kopftuch ablegen oder die Braids auftrennen. Andere können aber nicht einfach ihre Identität ändern und werden am Ende des Tages immer noch dafür diskriminiert.“
Ein Beispiel für eine Gegenbewegung: In den USA werden seit einiger Zeit die Namen jener Football-Teams geändert, die „Indians“ oder „Redskins“ im Teamnamen tragen, da diese Bezeichnungen einfach nicht mehr als sozial akzeptabel gelten. Laut Weiss-Krejci sollte „dieses Umdenken auch bei dem einen oder anderen Faschingskostüm einsetzen“.
Kultur als Kostüm
Doch was sollte man bei seiner Verkleidung bedenken? Ist ein sogenanntes „Indianerkostüm“ immer verwerflich? Ein beliebtes Argument in der Debatte um Kostüme vermeintlich „exotischer Kulturen“ ist, dass dahinter keine böse Absicht stecke. „Kinder wollen in neue Rollen schlüpfen“ oder „mein Indianerkostüm ist ein Zeichen der Wertschätzung“, hört man dann häufig.
Weiss-Krejci sagt dazu: „Die indigenen Gruppen Nordamerikas führen einen langen Kampf gegen kulturelle Aneignung – sowohl ihrer materiellen Kultur als auch ihrer geistigen kulturellen Errungenschaften. Es ist eine Frage des Respekts vor diesen Gruppen. Wenn ich ihre Wünsche respektiere und diese Gruppen achte, dann vermeide ich es, mich so zu verkleiden. Es gibt so viele andere mögliche Kostüme, warum muss es ausgerechnet dieses sein?“
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