Übergangen und brüskiert: Sexismus auf weltpolitischem Parkett
Der Vorfall dauert nicht länger als eine halbe Minute. Beim Fototermin des EU-Afrika-Gipfels in Brüssel ist der ugandische Außenminister Jeje Odongo an der Reihe. Er geht grußlos an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorbei, um Ratspräsident Charles Michel und dem französischen Präsident Emmanuel Macron die Hand zu schütteln. Erst als Macron Odongo auf seinen Fauxpas hinweist, reicht der Minister von der Leyen die Hand.
Sofagate am Bosporus
Das war die nicht das erste Mal, dass von der Leyen düpiert wurde: In der Türkei wurden für den Fototermin nur zwei Sessel bereitgestellt: für Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Charles Michel, der sich ohne Zögern hinsetzt. Die Beispiele, wo Frauen öffentlich verächtlich gemacht werden, ließen sich unendlich fortsetzen.
So wurde die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock von einem Journalisten despektierlich als „junge Dame“ bezeichnet. Frauen werden kleiner gemacht oder kommen nicht vor – wie etwa beim CEO-Treffen am Rande der Sicherheitskonferenz in München. Das macht übrigens sichtbar, dass es auch in westlichen Gesellschaften noch ein weiter Weg bis zur Gleichberechtigung ist.
Wer eine Erklärung dafür sucht, warum 2022 immer noch Frauen negiert werden, kommt an einer Ikone des Feminismus nicht vorbei: Mary Beard. Die Althistorikerin führt ins alte Griechenland: „Die abendländische Kultur hat eine Jahrtausende alte Übung darin, Frauen zum Schweigen zu bringen“, ist sie überzeugt und verweist auf viele Beispiele aus der Antike und der griechischen Mythologie, wo Telemachos, Sohn des Odysseus sagen darf: „Die Rede ist Sache der Männer“, nachdem er von seiner Mutter getadelt wurde.
Tiefe Stimme
Die Abwertung von Frauen in der Öffentlichkeit gelte bis heute. Erfolgreiche Frauen dürften nicht darüber hinwegtäuschen. Den Weg nach oben schaffen sie, indem sie ihre Weiblichkeit verleugnen. So ist von Margret Thatcher bekannt, dass sie Unterricht nahm, damit ihre Stimme männlicher klingt. Wobei in der Regel nicht so sehr aufregt, wie und was eine Frau sagt, sondern dass sie überhaupt etwas sagt.
Wird Frauen wie im aktuellen Fall der Handschlag verweigert, „wird damit in manchen Fällen wohl ein bewusstes Statement gesetzt,“, meint die Politikwissenschafterin Dorothee Beck. „In anderen verhalten sich Politiker so, weil sie es einfach können. Fest steht für sie aber: den Imageschaden tragen beide. Der Politiker, weil ihn mittlerweile die öffentliche Entrüstung trifft. Die Politikerin, weil sie in der Öffentlichkeit zum Opfer wird, und „Opfer sind in der Politik einfach nicht gewollt“.
Das macht es auch so schwierig, das Thema „Sexismus in der Politik“ anzugehen. Diejenigen, die davon betroffen sind, wollen auf gar keinen Fall als Opfer gelten. Die öffentliche Entwürdigung von Frauen ist zudem Wasser auf die Mühlen derjenigen, die nicht gut auf mächtige Politikerinnen zu sprechen sind. „Wenn so eine Form von Sexismus auf der politischen Bühne möglich ist, macht das eine Gesellschaft sexistischer“, sagt Beck. Es müsse einen Sturm der Entrüstung und ein entschiedenes Entgegentreten geben.
Männliche Bastionen
Für Saskia Stachowitsch, Direktorin des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip), hat die Ablehnung von Frauen wie von der Leyen oder Baerbock noch einen anderen Grund: „Diese Politikerinnen sind in Feldern tätig, die ganz besonders stark maskulin geprägt sind. Sicherheits-, Außen- und Verteidigungspolitik sind männliche Bastionen, in denen militärische Sichtweisen dominieren. Frauen und Weiblichkeit wird in diesem Kontext oft abgewertet.“
Es zählt also nur der männliche Blick: „Man glaubt, Sicherheit sei ein Gut, das objektiv herstellbar ist und sich in erster Linie auf Staaten, Institutionen oder Grenzen bezieht. Es lässt eine andere Sichtweise gar nicht zu, etwa die, was Sicherheit im Alltag von Frauen bedeutet.“ Stachowitsch, die Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist, nennt ein Beispiel: „Sind UN-Friedenstruppen im Land, kommt es immer wieder zu sexueller Ausbeutung von Frauen und Mädchen – ein Thema, das kaum als sicherheitsrelevant gesehen wird.“
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