Knapp und sexy: Überholte Kleiderregeln im weiblichen Spitzensport
Als das norwegische Frauenteam bei der Beachhandball-EM im Vorjahr in kurzen Radlerhosen zu einem Match kam, war die Aufregung groß. Denn hier müssen die Frauen den Regeln nach eigentlich in knappen Bikinihöschen antreten. Maximal erlaubte Seitenbreite: 10 cm. Es setzte eine Geldstrafe.
Für Lisa Kalina, Gender- und Sport-Expertin und Mitgründerin des Blogs "Fan von Dir", nur ein Zeichen dafür, dass im Sport "auf allen Ebenen die Frauen fehlen". So komme dann eben diese "Mischung aus Ignoranz und Sexismus" in den unterschiedlichsten Situationen sichtbar. "Die Frage ist, wer entscheidet, wer setzt die Regeln fest?", sagt sie. "Größtenteils Männer, die vor vielen Jahren die Vorschriften definiert haben, ohne dass Frauen Mitspracherecht hatten. Das sieht man dann auch an der Sportbekleidung."
Zu viel Stoff
Auch Tennis-Champion Serena Williams löste mit ihrer Sportkleidungswahl eine Diskussion aus. Als sie nach der Geburt ihrer Tochter zu den French-Open 2018 im schwarzen Catsuit erschien, war die Empörung groß. Bernard Giudicelli, der damalige Präsident der französischen Tennisverbandes, implizierte gar einen Mangel an Respekt vor Spiel und Ort. Dabei hatte es medizinische Gründe, warum Williams im Ganzkörperoutfit erschien - es war ein Kompressionsanzug, der die Bildung von Blutgerinnseln verhindern sollte.
Der Fokus der Bilder
Für die deutsche Kunstturnerin Sarah Voss ging es hingegen ganz klar darum, gegen die Sexualisierung in ihrem Sport ein Zeichen zu setzen, als sie bei der EM 2021 im langbeinigen Gymnastikanzug antrat. Schließlich ist es in dem Sport keine Seltenheit, dass den knapp bekleideten, jungen Athletinnen während ihrem Wettkampf direkt in den Schritt fotografiert wird.
"Der Fokus der Bilder, die von Sportlerinnen in den Medien gezeigt werden, ist ein ganz anderer als bei Männern", sagt Kalina. Das bestätigt auch eine Studie anlässlich der Olympischen Spiele 2004. Hier konzentrierten sich 20 Prozent der Beachvolleyballaufnahmen auf die Brüste, 17 Prozent auf die knapp bedeckten Hintern der Spielerinnen. Die Schlussfolgerung, dass der weibliche Spitzensport einem hauptsächlich männlichen Blick unterliegt, liegt nahe. Die sportliche Leistung alleine reicht nicht, es muss auch schön anzusehen sein.
Strukturelle Benachteiligung
Zum einen gehe es dabei natürlich um die Einschaltquoten, die man mit den leicht bekleideten Frauenkörpern einzufahren erhoffe, sagt Kalina - aber nicht nur. "Das sind ja oft keine großen Sportarten, in denen es zu Diskussionen kommt. Ein größeres Thema wird die Bekleidung erst, wenn Strafen fällig werden. Es steht einfach eine strukturelle Benachteiligung dahinter und die fehlende Einbindung von Frauen von der obersten Führungsebene bis zum Trainerlevel."
Vorbild Wintersport
Gleichwertiger ist es beim Wintersport, meint Kalina. "Die Damen- und Herren-Skiabfahrt beispielsweise wird immer vollständig und gleichberechtigt übertragen, der Fokus liegt klar auf dem Wettkampf. Das ist ganz selbstverständlich. Sobald es auf Team- oder Sommersportebene geht, geht die Schere aber wieder auseinander. Das ist komplett widersprüchlich, es geht ja da wie dort um die sportliche Leistung."
Wo aber der Körper weniger sichtbar ist, fällt die Gleichbehandlung offensichtlich leichter. "Es fehlt auch an Sichtbarkeit, speziell in den Teamsportarten. Die Handball-EM der Männer wird im Fernsehen übertragen, die Frauen-WM hingegen nicht, nicht einmal das Finale."
Idealzustand
Während man also nicht aus dem Auge verlieren sollte, dass das Thema der Sportbekleidung nur ein Aspekt eines generellen Problems ist, ist Träumen dennoch erlaubt. Und so sieht Kalinas Idealvorstellung aus: Eine Welt ohne Kleidervorschriften im Sport - für Männer wie für Frauen. "Und wenn es denn Regeln sein müssen, dann sollen unbedingt weibliche und männliche Entscheidungsträger eingebunden sein."
Manchmal bessert sich dann doch etwas – wenigstens minimal. Nach den Protesten, die die Strafe für die Beachhandballerinnen im Vorjahr ausgelöst hat, lässt der Handball-Weltverband Frauen nun in „kurzen, eng anliegenden Hosen“ zum Match antreten. Für Männer ändert sich nichts – ihnen bleiben auch weitere Hosen erlaubt. Kurz und knapp müssen sich nur die Frauen zeigen.
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