Immer weiter abwärts: Was tun, wenn die Beziehung giftig ist

Oft trügt der schöne Beziehungsschein.
Toxische Beziehungen gibt es nicht nur in Hollywood. Auf welche Warnsignale man achten soll und welche Rolle der Selbstwert dabei spielt.

Wenn es eine Sache gibt, auf die sich in den vergangenen Wochen wohl alle Beteiligten, Zeugen und Zuschauer vor den Bildschirmen einigen konnten, dann ist es die: Es wäre besser gewesen, Johnny Depp und Amber Heard wären einander nie begegnet. Dann wäre beiden nicht nur das unwürdige Spektakel des wochenlangen, live übertragenen Prozesses, die gegenseitige üble Nachrede und das Ausbreiten sämtlicher intimer, hässlicher Details aus dem Privatleben erspart geblieben. Auch der Kelch des jahrelangen Verharrens in einer dysfunktionalen und destruktiven Beziehung wäre an ihnen vorübergegangen.

Das Verfahren kam diese Woche zu einem Ende, die Jury berät sich, das Unbehagen bleibt. Dabei ist diese Beziehung nur eine von vielen, die in der öffentlichen Rückschau hauptsächlich für ihre Toxizität in Erinnerung bleiben. Gedanken an die dem Untergang geweihte Ehe zwischen Prinz Charles und Lady Diana kommen hoch. Auch diese Beziehung machte das Paar maximal unglücklich und auch hier wurden private Beziehungs-, Fremdgeh- und Trennungsdramen öffentlich ausgetragen. Wohlgemerkt vor einem sehr interessierten Publikum – so wie auch aktuell bei Depp und Heard.

Warum finden wir als Publikum derartige Beziehungsabgründe – unabhängig von den berühmten Protagonisten – aber so faszinierend? Eine Antwort darauf liefert die Psychotherapeutin, klinische und Gesundheitspsychologin Katharina Schuldner: „Die toxischen Muster, die für eine Öffentlichkeit sichtbar gemacht werden, entsprechen der Lebensrealität vieler Menschen. Sie erkennen im Prozess einiges aus ihrer eigenen Erfahrung wieder. “

Der Weg nach unten

Um normale Krisen geht es dabei nicht, diese gehören zu jeder Beziehung dazu. Wenn aber über einen längeren Zeitraum regelmäßig und systematisch Verhaltensweisen eingesetzt werden, die das Gegenüber abwerten und demütigen, kann man von einer toxischen Beziehung sprechen, meint die Expertin. „Im Gegensatz zu einer gesunden Beziehung geht man hier nicht gestärkt aus einer Krise hervor“, sagt Schuldner. „Im Gegenteil: Man befindet sich in einer Art Abwärtsspirale, in der jeder Vorfall einen noch weiter schwächt.“

Nach den Episoden psychischer oder physischer Gewalt kommt es dann oft zur Verharmlosung und Schuldumkehr – sodass am Ende das Opfer glaubt, alles nur falsch verstanden oder die Situation selbst verursacht zu haben. Dass es „gegenseitigen Missbrauch“ gibt, wie die Paartherapeutin von Depp und Heard deren Beziehung vor Gericht analysierte, will Katharina Schuldner nicht ausschließen. Jedoch sagt sie: „Meiner persönlichen Erfahrung nach gibt es in diesen Fällen meistens einen Aggressor und ein deutliches Machtgefälle.“

Der Weg hinaus

Warum ist es dennoch so schwer, diesem schädlichen Kreislauf zu entkommen? Für eine Antwort muss man zu den Anfangstagen der Partnerschaft zurückblicken. Hier kommt es oft zum sogenannten Lovebombing: Man wird von Partner oder Partnerin mit Liebe, Aufmerksamkeit und Versprechungen für die gemeinsame Zukunft geradezu überhäuft. Verändert sich sein oder ihr Verhalten über die Zeit deutlich zum Negativen, will man den ursprünglichen Zustand unbedingt wieder herstellen und tut alles dafür. Abhängigkeitsverhältnisse und Verlustängste tun ihr Übriges. Dazu kommt auch der im Lauf der Beziehung bereits deutlich angeschlagene Selbstwert, der einem das Gehen erschwert. Man will immer noch den Versprechungen des Partners oder der Partnerin glauben, genauso wie man auch den Vorwürfen glaubt, selbst an allem schuld zu sein.

Es gibt aber Wege aus dem Unglück: „Es ist essenziell, den Missbrauch als solchen zu erkennen und zu akzeptieren. Überlegen Sie ‚Was brauche ich eigentlich in einer Beziehung?‘ Stärken Sie Ihre Selbstfürsorge, nehmen Sie Ihre eigenen Wünsche ernst.“ Ebenso wichtig ist Unterstützung von außen, ob das nun die Familie ist, der Freundeskreis oder eine professionelle Beratung. Ein hilfreicher Tipp ist es auch, nahestehende Personen zu fragen, wie sie die Beziehung von außen wahrnehmen.

Positiver Aspekt

Es heißt zwar, dass man in Beziehungen niemals wirklich hineinsehen kann, bei den oft sehr isolierten Betroffenen ist die Wahrnehmung jedoch schon derart verschoben, dass objektives Feedback äußerst wichtig ist. „Seien Sie aufmerksam und sprechen Sie es direkt an, wenn Ihnen etwas nicht richtig vorkommt“, rät die Expertin Freunden und Familie von Betroffenen.

So schmutzig die öffentlich ausgetragene Schlammschlacht des Depp-Heard-Verfahrens auch war, einen positiven Aspekt kann Katharina Schuldner dem Ganzen abgewinnen: „Zumindest wird weiter Bewusstsein geschaffen für Situationen, die viele vielleicht so oder so ähnlich erlebt haben, und für die sie nun leichter Worte und vielleicht sogar Antworten finden.“

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