Gefährlicher Köder: Schlanksein als Schlüssel zum Glück
Unrealistische Schönheitsideale setzen Menschen abseits des Normalgewichts 365 Tage im Jahr unter Druck. Pünktlich zu Neujahr fällt traditionell der Startschuss zum Diätwahnsinn. Was Abnehmwillige antreibt und warum Body Positivity nicht der Weisheit letzter Schluss ist, erklärt Ernährungspsychologin Cornelia Fiechtl.
KURIER: Warum ist Abnehmen ein so gängiger Neujahrsvorsatz?
Cornelia Fiechtl: Viele sehen im Jahresbeginn die Chance, endlich alles so zu gestalten, wie sie es sich sehnlichst wünschen. Die Unzufriedenheit mit dem alten Ich wird meist vom omnipräsenten Optimierungsdruck angetrieben. Idealvorstellungen, die den Körper – genauer gesagt das Gewicht – betreffen, werden besonders oft als quälend empfunden.
Warum ist das so?
Schlanksein wird meist mit dem Gefühl des Richtigseins assoziiert – ein emotional mächtiger Zusammenhang, der von Medien, der Werbeindustrie und sozialen Medien suggeriert wird. Auch unser Gesundheitsparadigma orientiert sich primär am Gewicht. Das alles prägt, was wir als schön und erstrebenswert empfinden. Und es zementiert die Vorstellung, dass man nur mit Normgewicht als richtig akzeptiert wird. Mehrgewichte Menschen lernen tagtäglich in den unterschiedlichsten Begegnungen, dass mit ihrem Körper etwas nicht stimmt. Das beginnt beispielsweise beim Arzt, wo dicke Menschen in ihrem Leid weniger ernstgenommen werden. Da ist es nur verständlich, dass sie daran etwas ändern wollen.
Nutzt die Diätindustrie Selbstzweifel aus?
Sie hat die Illusion, dass alles besser wird, wenn man abnimmt, entscheidend mitgeformt – und ist ihr größter Nutznießer. Wenn man mehrgewichtigen Menschen mit dem Glücksgefühl wie mit einer Karotte vor der Nase herumwedelt, kann man mit den dubiosesten Produkten viel Geld verdienen. Jede Diätanzeige ist ein Hoffnungsschimmer, der ein neues Leben ohne Trauer und mit mehr Zugehörigkeitsgefühl, Erfolg und Schönheit verspricht. Der Gedanke, dass die Diät endlich Zugang zu einem rundum besseren Leben ermöglicht, wirkt wie ein Rettungsanker, für den man beinahe alles tut.
Wie distanziert man sich von dieser Denkweise?
Wichtig ist, sich zu überlegen, was die Erwartungen ans Abnehmen sind – und sich fragt, ob sie wirklich an eine Zahl auf der Waage gekoppelt sind. Überlegen Sie sich, was sich konkret im Leben, im eigenen Verhalten und Tun verändern wird, wenn man abgenommen hat. Wenn man sich damit wirklich auseinandersetzt, wird man oft erkennen, dass dem nicht so ist.
Jedes Jahr tauchen neue Trenddiäten auf, die sich mit überzeugenden Forschungserkenntnissen schmücken. Was ist in puncto Abnehmen wissenschaftlich tatsächlich gesichert?
Dass 80 bis 90 Prozent der Abnehmwilligen langfristig in ihren Diätvorhaben scheitern. Es gibt nur wenige Studien, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer langfristig begleitet werden. Und da zeigt sich, dass der Großteil der Menschen nach ein bis drei Jahren wieder beim Ausgangsgewicht oder darüber landet. Damit nicht genug: Je mehr Diäten man ausprobiert, desto höher ist am Ende der BMI. Ist man längerfristig in einem Diätkreislauf gefangen, kann das dem Körper grob schaden. Das Sterblichkeitsrisiko steigt, ebenso wie das Risiko an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erkranken, Bluthochdruck, Depressionen oder Essstörungen zu entwickeln. Ironischerweise Zustandsbilder, die man eigentlich mit Mehrgewicht in Verbindung bringt. Die Gesundheit wird dadurch also nicht gefördert, im Gegenteil.
Woran scheitern die meisten beim Abnehmen?
An der Gewichtsreduktion als singuläres Ziel. Durch Zügelung gewinnen verbotene Speisen an Attraktivität. Man benötigt immer mehr Kontrolle, um dem inneren Verlangen nach diesen Lebensmitteln zu widerstehen. Dazu kommt, dass mehr Energie notwendig wird, um sich an bestimmte Regeln zu halten, vorzukochen oder Diätratschläge umzusetzen. Die Gedanken an Essen nehmen mehr Raum ein. Irgendwann ist die Energie erschöpft. Einer Ausnahme nachgegeben, endet dies sehr häufig in unkontrolliertem Essen.
Was sollte man stattdessen anstreben?
Wir sollten uns lieber fragen, was Gesundheit ausmacht: ausgewogenes Essverhalten, nährstoffreiche Nahrung, der intuitive Umgang mit Hunger und Sättigung, Bewegung, soziales Eingebundensein, Körperrespekt und mentale Gesundheit. Menschen, die hier in eine gute Balance finden, können sich auf ein Gewicht einpendeln, dass für ihren Körper passend ist.
Hat der Druck, schlank zu sein, abgenommen?
Er ist nach wie vor groß, insbesondere in sozialen Medien, die großen Einfluss auf die Körperwahrnehmung haben. Gleichzeitig formiert sich genau dort eine Gegenbewegung zu unrealistischen, diskriminierenden Schönheitsidealen.
Sie sprechen von Body Positivity?
Genau. Entstanden ist Body Positivity eigentlich aus der Fat Acceptance Bewegung. Schon in den Sechzigerjahren macht man sich im Zuge dessen gegen das soziale Stigma der Fettleibigkeit stark, indem man auf den benachteiligenden und vielfach abwertenden Umgang mit dicken Menschen – vom Job bis zur Medizin – aufmerksam machte. Der Begriff ist bei der breiten Masse angekommen. Damit ging leider eine Verwässerung der dahinterliegenden Botschaft einher. Unter dem Schlagwort tummeln sich im Netz überwiegend Bilder normgewichtiger Frauen, die einzelne Bauchfalten inszenieren und auf die Akzeptanz dicker Körper pochen. Body Positivity wurde von Normgewichtigen gekapert.
Und von der Mode- und Schönheitsindustrie.
So ist es. Body Positivity wurde maximal kommerzialisiert. Man schmückt sich zu Marketing-Zwecken damit, holt in den dazugehörigen Kampagnen aber maximal eine mehrgewichtige Frau vor die Linse. Eine dicke Frau mit guten Proportionen am Plakat ist okay – sie sollte aber nicht zu unförmig sein oder Cellulite haben. Ästhetik wird immer noch sehr eng und wenig inklusiv gedacht und bildet nur ein kleines Spektrum von Körperlichkeit ab.
Kritikerinnen und Kritikern zufolge ist Body Positivity letztlich wieder nur ein körperfixierter Ansatz.
Eine Alternative ist Body Neutrality – eine neutrale Einstellung zu Körpern: Man muss sich nicht zwingen, seinen Körper zu lieben. Er trägt durchs Leben, sein Aussehen definiert uns aber nicht als Menschen.
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