Franz Essl: Was den Wissenschafter des Jahres 2023 antreibt
Dieser Fund war selbst für den Biologen und Artenforscher Franz Essl kurios: „Meine Katze hat in unserem Garten einen Gleitflugbeutler gefangen.“ Die australischen Tiere sind in Österreich extrem selten in freier Wildbahn anzutreffen. Das ist schon ein Zufall, dass er ausgerechnet bei ihm gefunden wurde, ist Essl doch ein ausgewiesener Experte für die Ausbreitung eingeschleppter Arten in aller Welt. Essl wurde am gestrigen Montag zum Wissenschafter des Jahres gekürt.
Vielleicht hat sich der Sugar Glider, wie das Beuteltier auch genannt wird, auch deshalb in den Garten in Wien-Währing verirrt, weil dieser naturbelassen ist – Pestizide oder Insektizide werden hier nicht verwendet. Ein kleiner Teich ist Essls ganz privates Forschungslabor.
Das ist wohl auch Ausgleich für ihn, denn im Freien arbeitet Essl nur noch selten – „obwohl ich jahrelang Freilandbiologe war“. Seinen Arbeitsalltag als Forscher beschreibt er so: „Es gibt keinen durchschnittlichen Tag. Neben Verpflichtungen wie Lehrveranstaltungen habe ich zum Glück viel Freiraum, um mit meinem Team Fragen, die uns interessieren, anzugehen.“
Franz Essl: Der Biodiversitätsforscher feiert am 14. Jänner seinen 50. Geburtstag. Der Biologe lehrt an der Uni Wien und gehört zu den meist zitierten Wissenschaftern Österreichs. Er forscht nicht nur, sondern engagiert sich bei Umweltschutzorganisationen und setzt sich z.B. dafür ein, dass nicht weitere Straßen gebaut werden.
Die Auszeichnung: Sie wurde heuer zum 29. Mal vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten verliehen. Prämiert werden Forschende, die Erkenntnisse in verständlicher Sprache vermitteln, ohne zu sehr zu vereinfachen
Dafür nutzt er die Daten aus der Natur, die andere sammeln. Wie zum Beispiel für das Projekt über eingeschleppte Arten. „Gemeinsam hat unser Team mit internationalen Forschenden eine globale Verbreitungsdatenbank nicht einheimischer Arten zusammengestellt. Da schauen wir für jedes Land, jede Inselgruppe, wo es welche eingeschleppten Pflanzen gibt und wie sie sich ausgebreitet haben“, erzählt er.
Hotspots dieser Neobioten, wie Biologen die eingeschleppten Arten nennen, lassen sich daraus genau so ablesen wie die Folgen der Kolonialisierung auf die Artenzusammensetzung in einem Gebiet. „Und wir können sehen, was es für die Natur bedeutet, wenn die Globalisierung weiter zunimmt.“ Was Essl an dieser Forschung so fasziniert: „Man kann in eine Fragestellung hineinzoomen und sich mit dieser spezifischen Frage auseinandersetzen und gleichzeitig das große Ganze betrachten.“
"Das ist doch ein Luxus"
Mehr als zehn Jahre wurde die Datenbank aufgebaut. Fixe Arbeitszeiten, in denen Freizeit und Job getrennt sind, gibt es da nicht: „Das kommt mir entgegen, weil ich das, was ich tue, mit Begeisterung mache. Dass ich mich am Montag nicht aufs Wochenende freue, ist doch ein Luxus.“
Aber ist es nicht bedrückend, wenn er sieht, wie so viele Arten aussterben? „Die Stimmungslage wechselt. Der Mittelwert ist schon okay“, sagt er nach einigem Nachdenken. Was die nächsten Jahrzehnte angeht, ist er allerdings nicht allzu optimistisch, „aber die Situation ist für mich Ansporn und Motivation, um Veränderungen anzustoßen – viele Einzelpersonen verändern Dinge“. Schließlich habe es schon immer Krisen gegeben und manchmal seien Dinge daraus entstanden, die keiner hätte vorhersagen können, weil sich Dynamiken verändern und Prognosen anders entwickeln.
Seine erste Wiese
Das Artensterben beobachtet Essl schon seit seiner Kindheit, die der Oberösterreicher auf einem Bauernhof in der Nähe von Steyr verbracht hat. Er hat dort gemacht, was viele auf dem Land machen: Bäche aufstauen, über die grünen Wiesen laufen und rodeln. Dabei hat er schon früh die Natur erkundet.
Als er mitbekommen hat, dass eine Blumenwiese, auf der seltene Nelken wuchsen, aufgeforstet werden soll, hat er den Bauern und lokale Naturschützer kontaktiert. „Ich wollte, dass diese Wiese erhalten bleibt“, erinnert er sich. Sie existiert bis heute, andere wurden hingegen aufgeforstet. Damals wurde wohl der Grundstein für sein Interesse an Biologie gelegt.
Artensterben als Alarmsignal
Doch warum ist das Artensterben überhaupt ein Problem? „Für uns als Biologen wäre es einfacher, wenn es weniger Arten gäbe.“ Gut, dass er seinen Humor noch nicht verloren hat. „Doch im Ernst: Gibt es weniger Arten, ist das ein Alarmsignal. Eine intakte Natur ist nun einmal das Fundament einer Gesellschaft. Das vergessen wir oft, wenn wir im Supermarkt einkaufen. Wir können nämlich Lebensmittel zukünftig nicht mehr in der Menge und Güte produzieren, wenn es etwa keine Bestäuber mehr gibt. Außerdem: Wer will schon in einer von Straßen zerfurchten und Schottergruben übersäten Landschaft leben?“
Er selbst lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in einem Haus – wie man es sich von einem Biologen erwartet. Im Treppenhaus stehen Fahrräder – die anderen Mieter sind Freunde Essls, einer davon ist Tierpräparator und „behandelt“ den Beutelgleiter. Und im Wohnzimmer wuchern die Grünpflanzen, die dank einer Glasfront auch genügend Licht haben. Durch die Fenster hat man einen wunderbaren Blick in den „wilden“ Garten. An der Zimmertür hängt eine Notiz, die offensichtlich die Töchter verfasst haben. Sie erinnert daran, wie man auf die Natur achten kann. Beispiel: „Mehr saisonale Lebensmittel und auf Autofahrten verzichten.“
Was Franz Essl jetzt von der Politik fordert
- Eine Milliarde Euro für den Naturschutz: Franz Essl erwartet sich, dass die Auszeichnung auch ein Aufruf an die Politik ist, endlich entschlossener zu handeln als bisher. Dazu gehört auch, dass mehr in Klima- und Artenschutz investiert wird. Derzeit passiere oft das Gegenteil: Fast 6 Milliarden Euro fließen derzeit jährlich in klimaschädliche Subventionen. Gefragt seien Bund und Länder. „So gibt Niederösterreich 30 Mal mehr Geld für den Neubau von Straßen aus als für den Naturschutz. Das müsste umgekehrt sein.“ In anderen Länden läuft es ähnlich.
- Biodiversitätsstrategie umsetzen: Bei der Artenschutzkonferenz in Montreal, Kanada, ist Österreich Verpflichtungen eingegangen, die in der Biodiversitätsstrategie festgeschrieben sind. Die wichtigsten drei Punkte: Ein Drittel der Landesfläche soll unter Schutz stehen, ein Drittel der Arten auf der Roten Liste nicht mehr als gefährdet gelten und 35 Prozent der Landwirtschaft auf bio umgestellt sein. Die Ziele sollen bis 2030 erreicht sein, so der ehrgeizige Plan.
- Ein nationales Forschungsprogramm: Dieses soll etabliert werden und sich den Themen Land- und Forstwirtschaft, Klimaschutz, Artenverlust oder den gesellschaftlichen Anpassungsnotwendigkeiten widmen.
- Vertrauen in die Wissenschaft stärken: In kaum einem Land Europas ist die Skepsis oder das Desinteresse gegenüber der Wissenschaft so groß wie in Österreich. Die Wissenschaft müsse sichtbarer gemacht werden. Denn hier leiste das Land Großes. „Wir haben international anerkannte Institute wie z. B. das IIASA in Laxenburg oder das Institut für interdisziplinäre Forschung an der BOKU Wien.“
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