Herr Otmar setzt sich hin, Stehen strengt ihn an. Staub tanzt in der Luft über Farbtiegel, Pinsel, Tuben, fleckige Tücher. „Das“, sagt er und deutet auf die Wand, „das ist mein Leben.“ Freskenhaft überzieht das Bild die Fläche von der Größe einer Matratze. Die Motive, erzählt er, seien einfach aus ihm herausgeflossen und hätten sich am Ende auf wunderbare Weise zu einem Ganzen zusammengefügt: Die Frauenwesen mit Schlangenkörpern, der grüne Tigerkopf, das fließende Schloss, das Tor zum Himmel, der Mann mit den drei Augen, der Motorradhelm. „So ist es doch auch im richtigen Leben. Man weiß nie, welche Station als nächstes kommt. Ein Verlust oder ein Erfolg oder eine Krankheit“, sagt er.
Herr Otmars Stimme klingt die längste Zeit warm und weich wie die eines Märchenerzählers, auf einmal wird sie leiser und undeutlicher, als hätte er einen Frosch im Hals. „Entschuldigung“, sagt er und holt ein Sackerl unter dem Couchtisch hervor, „ich muss ausspucken.“ Schlucken kann er nicht mehr.
Früher war er Nachtwächter, Koch und Pflegehelfer. Pflegehelfer sei er am liebsten gewesen, erzählt er. „Mit Menschen zusammen sein, das hat mich erfüllt.“ Als Nachtwächter habe er nur deshalb kurz gearbeitet, weil er in der Akademie der Bildenden Künste die Bilder in Ruhe studieren wollte. Davon profitiere er heute noch, sagt er. „Mein Vorbild ist Ernst Fuchs.“
Malen aus innerem Bedürfnis
Seit Herr Otmar vor zwei Jahren das Bild an der Wand zu malen begonnen hat, ist er nicht mehr davon losgekommen. „Ich male täglich aus einem inneren Bedürfnis heraus“, erzählt er und zeigt uns seine anderen Bilder, die an den Wänden hängen oder lehnen. Herr Otmar hat sich dazu entschlossen, seinen Abschied vom Leben zu gestalten und nicht tatenlos dahinzuschwinden und verbittert auf den Tod zu warten. Er fühle sich sehr lebendig, sagt er. Und auch nicht alleine, obwohl er seine Wohnung nur noch selten verlasse.
Freunde vom mobilen Palliativteam
Das CS Hospiz Rennweg schickt jeden zweiten Tag jemanden, der Herr Otmars Sonde reinigt. „Aber das ist nicht alles“, sagt er. „Für mich sind die Menschen vom mobilen Palliativteam Freunde geworden. Sie machen nicht nur ihre Arbeit. Sie sind für mich da.“ Regelmäßig zu Besuch kommt auch der ehrenamtliche Mitarbeiter Herr Rudi. Er hilft Herrn Otmar, gegen die dunkle Gedanken anzukämpfen, die sich manchmal anschleichen.
Das Malen und die sondengerechte Zubereitung seines Essens, erzählt Herr Otmar, seien seine Hauptbeschäftigungen – „es gibt bessere und schlechtere Tage.“ Wir sind an einem guten Tag da.
Für das KURIER-Foto setzt Herr Otmar sein Kapperl auf und nimmt einen Pinsel in die Hand. Ob er das Foto bitte auch haben könnte? Natürlich.
Was mit dem Kunstwerk an der Wand nach ihm passieren wird, weiß er nicht. „Ich hätte das Bild besser auf eine Leinwand oder auf Papier malen sollen“, sagt er und seufzt leise – zum ersten Mal seit wir uns unterhalten.
Dass es der nächste Bewohner der Wohnung überpinseln könnte, ist gut möglich. „Herr Rudi hat sich schon erkundigt, ob man die Rigipswand, mit der das Bild verbunden ist, ohne Beschädigung herausschneiden kann“, erzählt Herr Otmar, „es sollte möglich sein.“
Herrn Otmar gefällt die Idee. „Es wäre schön, wenn es gelingen würde, mein Bild zu retten, um es irgendwo aufzuhängen, wo es viele Menschen anschauen können“, sagt er, „vielleicht kann es noch etwas bewirken. Mir hat es alles gegeben.“ Ohne die Krankheit hätte er wohl nicht mehr angefangen zu malen, meint er. „Irgendwas Gutes muss es ja auch an meiner Situation geben“, sagt er und lächelt.
Die Erdäpfel sind inzwischen kalt geworden. „Wenn ihr weg seid, mach’ ich sie mir nochmal warm“, sagt Herr Otmar. Unsere Sinne haben sich inzwischen an die düstere Schwüle gewöhnt.
Wir treten ins Stiegenhaus hinaus und warten auf den Aufzug. Herr Otmar steht im Türrahmen. Eine schmale Gestalt vor orangefarbenen Wänden. Er winkt und sagt „Schön, dass Sie da waren.“ Der Aufzug kommt. Der Kokon von Herrn Otmar schließt sich. Schön, dass wir da waren.
Hilfe für pflegebedürftige Menschen
250Tausend Menschen gelten in Österreich als pflegebedürftig: 150.000 werden mobil, 100.000 stationär betreut. Frau Hannelore zählt dazu. Sie nimmt Abschied mit allen Sinnen. „Über Geruch und Geschmack werden Erinnerungen hervorgeholt.“
Frau Hannelore stand in ihrem Leben nicht oft in der Küche. „Ich kann zwar kochen, aber eine richtige Leidenschaft habe ich nie dafür entwickelt“, erzählt die Kinderkrankenschwester, die seit zwei Wochen im CS Hospiz Rennweg darauf wartet, „gehen zu dürfen“.
Den Mixer in Balance zu halten, während die Rührstäbe durch den Kipferlteig walken, fordert ihr viel Kraft ab. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin übernimmt. „Bitte rufts mich, wenn die Kipferl im Ofen sind“, sagt Frau Hannelore und geht in Richtung Terrasse, um sich eine Zigarette anzustecken.
Bereit
Sie sei bereit, sagt sie. Mit dem Tod hatte sie in ihrem Beruf oft Kontakt. „In meinen Armen habe ich einige sterbende Kinder gewiegt“, erzählt sie. Ob sie noch etwas erledigen wolle? Nein. Ihr Wunsch, die letzten Tage ihres Lebens im CS Hospiz Rennweg verbringen zu dürfen, sei in Erfüllung gegangen. Und: „Besser als hier kann es mir in meinem Zustand nirgends gehen. Hier backe ich sogar Martinskipferl.“ Das Hospiz hat Rezepte von Gästen und Mitarbeitern zusammengetragen und in einem Kochbüchlein zusammengefasst. „Brauchtum und Traditionen geben Halt und Sicherheit“, sagt Bereichsleiterin Andrea Schwarz, „und über Geruch und Geschmack werden Erinnerungen hervorgeholt.“
Geruch von Kipferln belohnt
Eine Stimme ruft , „Kipferl sind fertig“. Frau Hannelore drückt die Zigarette aus und folgt dem Duft, der die ganze Station erfüllt. „Köstlich“, seufzt sie, „zumindest ein kleines Stück probiere ich und hoffe, dass mein Magen nicht gleich rebelliert.“ Dann geht sie in ihr Zimmer. „Ich bin erschöpft“, sagt sie, „aber es hat sich gelohnt – allein für den Geruch.“
PS: Das Kochbüchlein mit Rezepten aus dem Hospiz vom Allerheiligenstriezel bis zum Heiligen Geist-Krapfen ist unter
der Telefonnummer 01 / 717 53 – 3136 oder unter kommunikation@cs.at erhältlich .
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