Eine Rolle, viele Gesichter: Vier Porträts zum Muttertag
Vor 30 Jahren hat eine Frau im Schnitt im Alter von 25 Jahren ihr erstes Kind bekommen – inzwischen liegt dieses Durchschnittsalter bei 30 Jahren. Auch die Definition von Familie und Mutterschaft hat sich über die Jahre stark verändert: Über 2.468.000 Familien leben laut Statistik Austria derzeit in Österreich – in den unterschiedlichsten Konstellationen, denn darunter fallen Ehepaare, Lebensgemeinschaften, Patchworkfamilien und natürlich auch alleinerziehende Eltern.
Die Mutter ist der Fixstern und als Symbol doch in ständigem Wandel. So hat sich ein Bewusstsein dafür geschärft, dass das klassische Mutterbild samt Definition vielleicht nicht auf alle zutrifft. Und dass es für Kinder nicht zwingend etwas ändert, ob man nun blutsverwandt ist, mehr als nur eine Mutter hat oder sich diese mit vielen anderen Geschwistern teilt. Mutterschaft hat eben viele Gesichter.
10-fach-Mama: „Ich bin weniger dogmatisch und viel lockerer als am Anfang“
Es ist gar nicht so leicht, Lisa Schrenk ans Telefon zu bekommen. Kein Wunder: bei zehn Kindern im Alter zwischen elf und knapp einem Jahr ist sie reichlich eingespannt. Finn, Oskar, Emil, Anton, Greta, Adam, Frieda, Liselotte, Josef und Ludwig heißt die Bande, die ihren Alltag seit über einem Jahrzehnt auf den Kopf stellt und bereichert.
Dabei war das eigentlich gar nicht so geplant. "Es hat sich einfach von Kind zu Kind ergeben“, sagt sie, die sich früher eigentlich gar nicht mit einer so großen Familie gesehen hätte.
Full House
Natürlich bleibt bei einer 10-köpfigen Kinderschar auch die eine oder andere überraschte Reaktion nicht aus: "Es glaubt mir meistens niemand“, lacht Schrenk.
"Wenn sie uns dann aber kennenlernen, sind die Vorurteile relativ schnell weg, weil sie sehen, dass es funktioniert und die Kinder glücklich sind. Wir entsprechen eben nicht dem Klischee, das sich viele aus allen möglichen TV-Sendungen zusammenbasteln.“ Davon kann man sich auch auf ihrem Instagram-Account "_10imglueck_“ überzeugen, auf dem ihre 337.00 Follower sie durch den Alltag begleiten.
Eines ist klar: Lisa Schrenk ist an ihrer Aufgabe gewachsen. "Ich habe in den letzten Jahren über mich gelernt, dass ich ein hohes Stresslevel aushalte und in viel Arbeit aufgehe“, sagt sie. Herausforderungen gab es genug, beispielsweise der Sprung von drei auf fünf Kinder, als sie ihre Zwillinge bekam. "Das war sehr tough“, erinnert sie sich.
Doch sie hat sich Unterstützung für den stressigen Alltag geholt: Eine Haushaltshilfe und eine Babysitterin leisten wertvolle Hilfe. So geht es sich dann auch aus, dass sie hin und wieder auch Zeit nur für sich selbst hat. "Ich nehme mir jedes zweite Wochenende, ich gehe dann auch fort. Ich habe das sehr lange nicht gemacht, aber jetzt achte ich darauf.“
Was wirklich zählt
Die Jahre und die Erfahrung, Mutter einer Großfamilie zu sein, haben sie viel entspannter werden lassen, sagt sie. So einige Regeln flogen mit der Zeit über Bord. "Ich bin weniger dogmatisch, viel lockerer als am Anfang und sehe nicht mehr alles so eng.“
Und auch von ihren Kindern konnte sie einiges lernen. "Ich habe mir von ihnen abgeschaut, die kleinen Dinge im Leben mehr zu genießen und zu feiern. So wie ein Spielplatzbesuch, der ist für sie einfach WOW, das Größte.“ So hat jeder Tag das Potenzial, zu etwas ganz Besonderem zu werden.
"Richtig wurscht“ ist Lisa Schrenk hingegen der Muttertag. "Ich mag keine erzwungenen Feiertage. Meine Kinder basteln zwar alle etwas, doch auch wenn ich nichts bekommen würde, wäre ich glücklich.“
Pflege-Mama: "Ein leibliches Kind könnte ich nicht mehr lieben als meine“
Als Sandra Schlagbauer Mama wurde, waren ihre Kinder drei und fünf Monate alt. Das Mädchen und der Bub – sie sind keine leiblichen Geschwister – wurden in schwierige familiäre Verhältnisse hineingeboren und fanden bei der 48-Jährigen und ihrem Mann ein liebevolles Zuhause.
Für den Weg der Pflegemutterschaft hatte sich Schlagbauer schon entschieden, bevor sie ihren Mann kennenlernte. "Ich war alleinstehend, zu alt für Adoption und künstliche Befruchtung kam für mich nicht in Frage. Außerdem gibt es so viele Kinder, die jemanden brauchen.“ Den Pflegeelternkurs hatte sie bereits fertig absolviert, als sie mit ihrem Mann zusammenkam. "Er war aufgeschlossen und hat den Kurs dann auch nachgeholt. Heute ist er mit Leib und Seele Pflegepapa. Auch die Karenzen haben wir uns aufgeteilt.“
Angst vor Abschied
Denn für die Aufgabe der Pflegeelternschaft – es wird unterschieden zwischen Krisen- und Langzeitpflege – braucht es eine gewissenhafte Vorbereitung. Die leiblichen Eltern können sich zwar nicht um ihre Kinder kümmern, behalten aber ein Kontaktrecht. Und sie können jederzeit einen Antrag auf Rückkehr des Kindes bei Gericht einbringen.
Ein Szenario, an das man sich als junge (Pflege-)Mutter erst gewöhnen muss. "Am Anfang war dieser Gedanke schwierig. Doch im Alltagstrubel denkt man daran nicht mehr – sonst würde man sich ja narrisch machen“, erzählt Schlagbauer. „Mittlerweile weiß ich: Ich bin ihre Mama.“
Ihre Kinder wachsen mit dem Selbstverständnis auf, dass sie nicht in ihrem Bauch gewachsen sind und es noch eine andere Mutter gibt, die sie manchmal besucht. "Aber ich bin eben die, die sie nachts tröstet, Konflikte austrägt, mit ihnen zum Arzt geht.“
Wann ist man Mama?
Mutterschaft, ist Schlagbauer überzeugt, definiert sich nicht nur über biologische Faktoren. "Für mich bedeutet Mamasein, Kindern Geborgenheit und ein liebevolles Zuhause zu geben und ihnen dabei zu helfen, zu selbstbewussten Erwachsenen heranzuwachsen.“ Sie ist froh, dass sich in der gesellschaftlichen Wahrnehmung langsam ein diverseres Bild von Familie und Müttern durchsetzt.
Meist denkt sie heute gar nicht mehr daran, dass sie den bald fünfjährigen Sohn und die bald zweijährige Tochter nicht selbst zur Welt gebracht hat. "Für uns sind das unsere Kinder und für sie sind wir Mama und Papa. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein leibliches Kind mehr lieben könnte. Dieses Gefühl hat sich schnell eingestellt. Es dauert ein paar Tage – aber dann ist man emotional voll involviert.“
Patchwork-Mamas: "Wir sind wie ein Fußball-Team, jeder hat eine besondere Rolle“
Sie feiern Weihnachten, Geburtstage und heute natürlich auch den Muttertag zusammen. Vor allem, wenn Familie Rauter zusammen auf Urlaub fährt, gibt es oft erstaunte Blicke. Wer gehört jetzt wie zu wem?!
Familie Rauter ist eben eine große Familie mit vielen zusammenhängenden Elementen: Samira und Hermann haben zwei kleine Kinder, Tiam (4 Jahre) und Liam (10 Monate). Aus Hermanns vorhergehender Beziehung mit Sonja gibt es auch Tim (24) und Leon (19). Sonjas Freund Franz bringt außerdem drei Kinder in die Beziehung mit und Sonja versteht sich freilich auch mit seiner Ex-Frau gut. Und dann gibt es noch Arno, Hermanns ältesten Sohn, der mit seiner Familie in Kärnten lebt und natürlich auch dazugehört.
So weit, so kompliziert. Das Besondere an Familie Rauter ist nicht nur, dass sie sich gut genug verstehen, um gemeinsam auf Urlaub zu fahren. Sie sind sogar geschäftlich verbandelt.
Alle müssen mitspielen
Dieses harmonische und vor allem enge Miteinander war nicht immer so. "Wir sind wie ein Fußball-Team, jeder hat eine besondere Rolle“, sagt Sonja. "Aber das funktioniert nur, so lange alle mitspielen.“ So war Sonja zwischen Hermann und Franz etwa mit einem anderen Mann zusammen, der den Kontakt zu ihrem Ex ablehnte. "Die Kinder hätten sich gemeinsame Urlaube gewünscht, aber das war damals nicht möglich. Mit 13 Jahren ist Leon sogar zu seinem Vater und Samira gezogen“, erzählt Sonja. Erst nach der Trennung wuchs die Großfamilie zusammen.
Auf der anderen Seite war Samira vor andere Herausforderungen gestellt: "Ich hatte vorher nie eine Beziehung, wo Kinder im Spiel waren. Ich musste mich daran gewöhnen, dass es nicht nur uns zwei Beziehungspartner gab, sondern dass bei unserer Planung die Kinder berücksichtigt werden müssen.“
Erfolgsgeheimnis
Was ihr sehr geholfen hat war, dass Hermann nie ein negatives Wort über seine Ex-Frau Sonja verloren hat. "Wenn jemand ständig schlecht über seine oder seinen Ex redet, bekommt man auch ein entsprechendes Bild.“ Oberstes Prinzip in der Familie ist außerdem, jedem das Gefühl zu geben, dass niemand weniger Liebe bekommt, weil jemand Neues dazukommt.
So sind sich beide Mütter einig, dass Wertschätzung, Vertrauen und Respekt die Schlüssel ihres Erfolgsgeheimnisses sind. "Bei uns ist es selbstverständlich, dass alle einander helfen und füreinander da sind. Geht’s einem schlecht, geht’s allen schlecht“, erzählen die beiden Mamas, die inzwischen Freundinnen geworden sind und gemeinsam mit ihrem Männerhaufen durch dick und dünn gehen.
LGBTIQ-Mama: "Es war für alle klar, dass wir beide Mamas sein werden“
Den Muttertag feiert Verena Flunger dieses Jahr gleich wie vor der Geburt ihres Kindes: Im Garten ihrer "Herzmama“, wie sie die Mutter ihrer Frau liebevoll nennt. Gemeinsam mit ihrer zweijährigen Tochter treffen dort heute vier Generationen aufeinander.
Für die Leiterin des Regenbogenfamilienzentrums Wien ein absoluter Traum. Denn für sie war schon immer klar, dass sie einmal Kinder möchte: "Auch wenn ich nicht heterosexuell bin, hat sich bei meinem Outing nicht die Frage gestellt, ob, sondern nur wann ich Mama werde.“
Um sich den Kinderwunsch zu erfüllen, entscheidet sie sich gemeinsam mit ihrer Partnerin für einen privaten Samenspender. Flungers Frau trägt die gemeinsame Tochter aus. Die Entscheidung fällt leicht: "Ich hatte nie den Wunsch, selbst schwanger zu sein. Für sie war das vorstellbar, also war klar, dass wir das so machen.“ Die Schwangerschaft ihrer Frau erlebt die 33-Jährige als schöne und aufregende Zeit. Dass sie als Co-Mama mit ihrer Tochter nicht genetisch verwandt ist, stört sie nicht. Sie hat sich in ihrer Mutterrolle von Anfang an verstanden gefühlt.
Zwei Mütter
So wurde von ihrem Umfeld etwa nie infrage gestellt, dass ihr Kind zwei Mütter hat. "Weder bei meiner Familie, noch bei ihrer war das je Thema. Meine Eltern und meine Oma sind hin und weg und lieben unser Wunschkind über alles“, erzählt sie. "Auch für unsere Hebamme war klar, dass wir beide Mama werden und nicht nur meine Partnerin, weil sie schwanger ist.“
Von anderen Regenbogenfamilien weiß Flunger jedoch, dass es auch anders sein kann. Manche Familien eines Co-Elternteils können Probleme haben, eine Beziehung zum Nachwuchs aufzubauen. "Das war bei uns zum Glück nicht Thema. Es ist wunderschön zu sehen, dass unser Kind mit so viel verwandtschaftlicher Liebe aufwachsen kann und kein Unterschied gemacht wird.“
Egal welches Geschlecht
Denn die studierte Sozialarbeiterin ist sicher: "Solange Kinder wissen, wo sie hingehören, ist die Frage der biologischen Abstammung meist nicht so groß.“ Kinder brauchen Liebe und ein Zuhause, „aber welches Geschlecht ihre Eltern haben, ist für die meisten nicht so wichtig.“
Auch für die eigene Tochter ist ihre Familiensituation aktuell noch kein Thema. "Sie kennt natürlich das Wort Papa und im Kindergarten gibt es hauptsächlich Familien, die andere Konstellationen haben als unsere.“ Konkrete Fragen werden jedoch erst in Zukunft folgen. Sollte es ihre Tochter dann wünschen, kann sie auch ihren Samenspender kennenlernen. "Wir sind für alles offen. Wenn der Spender eine größere Rolle spielen möchte, ist das für uns absolut denkbar. Er ist willkommen.“
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