Wenn sie im Frühling im neuen Federkleid in der Sonne glänzen, findet Astrid Drapela ihre Schar besonders schön. Die glücklichen Hühner genießen ihr Leben im weitläufigen Garten der Hobby-Ornithologin; ein Auge auf den Boden gerichtet, um Samen und Insekten zu finden, das andere gegen Himmel, um Fressfeinde im Blick zu behalten. Von wegen blindes Huhn. Sandbadeplätze und einen sicheren Stall gibt es hier im umzäunten Umland Wiens natürlich auch.
Astrid Drapela, Biologin, Pädagogin und Fachkraft für tiergestützte Interventionen weiß genau, was die domestizierten Nachfahren des Bankivahuhns für eine artgemäße Haltung brauchen, wie die gefiederten Persönlichkeiten ticken und welch erstaunlichen Leistungen sie erbringen. In ihrem Buch hat die Autorin nun Erkenntnisse aus mehr als 1.500 wissenschaftlichen Publikationen sowie aus den spärlichen, vor allem englischen Standardwerken aufgearbeitet und mit eigenen Erfahrungen als Glucke gespickt. „Ich wollt, ich hätt ein Huhn. Fakten & Haltung, neuer Stand der Forschung, Beziehung Mensch & Huhn“ informiert, unterhält und berührt auf 260 Seiten (Goldegg Verlag, 25 Euro).
Diskrepanz
„Bei keinem anderen Tier ist die Diskrepanz zwischen geliebtem Heimtier und ausgebeutetem Nutztier so groß wie bei Hühnern“, sagt die 46-Jährige. Seit mittlerweile einer Dekade finden zunehmend auch Großstädter Gefallen am eigenen Federvieh und an dessen Bio-Eiern. Jede rassige Schönheit, jede gerettete Legehybride bekommt einen Namen. Turbohühner in Massenbetrieben dagegen fristen ein unwürdiges Dasein, ihr Leid endet mitunter schon vor dem Schlachten.
Von wegen dumm
„Hühner sind völlig unterschätzt“, sagt Drapela, die hauptberuflich an einer Wiener Schule unterrichtet, und verweist zunächst auf die kognitiven Fähigkeiten. Die gefiederten Intelligenzbestien lernen schnell. Sie lösen Rechnungen im Zahlenraum bis fünf. Sie ziehen logische Schlüsse, wie es Kinder ab sieben Jahren tun. Als soziale Wesen zeigen sie Mitgefühl, etwa wenn Glucken Angst um ihre Küken haben. Mit einem Repertoire von 25 Lauten benennen sie Dinge und tauschen Informationen aus. Drapela kann die Rufe von mindestens sieben Hähnen unterscheiden. Im Clickertraining sind Hühner sind gute Schüler. Wird ihr Verhalten mit einem Klickgeräusch bestätigt und einer Leckerei belohnt, zeigen sie Tricks sehr schnell.
Von wegen blind
Noch faszinierender als die Gehirnakrobatik findet die Expertin die Sinnensleistungen der Dino-Verwandtschaft. Sie hebt zunächst den Schnabel hervor: Das harte Werkzeug ist mit höchst sensiblen Nervenzellen ausgestattet. So lassen sich Form, und Beschaffenheit des Futters abtasten oder mikroskopisch kleine Verwerfungen im Federkleid zurechtzupfen. Bei Hähnen wiederum, die den Schnabel nach innerer Uhr aufreißen, verschließen sich gleichzeitig die Gehörgänge; ein anatomischer Schalldämpfer gegen die Düsenjet-Lautstärke beim Krähen.
Auch beim Sehsinn gibt es geschlechtsspezifische Special-Effects. Während erwachsene Hennen eher mit dem rechten Auge Ausschau nach Bekannten halten und das linke unbekannte Reize erkundet, machen es Hähne umgekehrt. In beiden Fällen arbeiten die Hirnhälften gleichzeitig getrennt.
Eiklar, Dotter, Schale
Auch die Ei-Produktion ist ein Wunder der Natur. „Schon als Embryo haben Hühner 5.000 bis 10.000 Eizellen angelegt“, erklärt die Biologin. Ab dem 5. Lebensmonat macht sich täglich eines dieser Dotter auf den Weg. Unterwegs durch das Fortpflanzungsorgan bildet sich eine Dotterhaut, über der sich das Klar Schicht für Schicht aufbaut. Sind Spermien eingelagert – sie halten sich bis zu zwei Wochen –, kommt es zur Befruchtung.
„Mit 19 von den 24 Stunden, die es bis zum fertigen Ei dauert, nimmt die Bildung der Schale die meiste Zeit in Anspruch“, sagt Drapela. In der Gebärmutter entsteht aus Kalk aus Futter und den Knochen der Henne die luftdurchlässige Hülle samt Schutzschicht. Schließlich verlässt das Ei – in die typische Form gedrückt und noch einmal gedreht – die Kloakenöffnung. Es landet sicher auf der stumpfen Seite.
Wie eine Katze
„Wer Hühner hat und sie beobachtet, lernt sie zu lieben“, sagt Drapela, die unter ihren 40 Exemplaren keines herauspicken will. Jedes hat Charakter, jedes seine Eigenheiten. Sind Hühner also die neuen Katzen? „Hühner sind nicht das perfekte Streicheltier, sie haben keine Mimik und spielen nie“, resümiert Drapela, die ein großes Herz für alle Lebewesen hat: „Aber je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, desto enger wird die Beziehung – so wie zwischen Katze und Mensch.“
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