#FemalePleasure: Warum die weibliche Sexualität als obszön gilt

Frauen, die das Tabu des Schweigens rund um weibliche Lust brechen, stehen im Fokus der Doku "#FemalePleasure".
In den Weltreligionen gilt das weibliche Geschlecht als unrein – ganz im Gegenteil zum männlichen, zeigt eine Regisseurin in ihrer Doku.

Männer, die einen riesigen Holzpenis durch die Straßen tragen; Kinder, die an Lollis in Phallus-Form lutschen: Zum "Fest des stählernen Penis" wird in Japan das männliche Geschlechtsteil einmal im Jahr zelebriert. Die Vulva hingegen gilt als Obszönität: Die japanische Künstlerin Rokudenashiko wurde etwa verhaftet und angeklagt, weil sie nach Abbild ihrer Vagina ein Kajak hergestellt hatte. Mit diesem war sie über den Fluss Sumida in Tokio gepaddelt.

Sie ist eine von fünf Frauen, die Barbara Miller in ihrem Film "#FemalePleasure" porträtiert, der am Freitag im Kino startet. Im Interview mit dem KURIER spricht die Schweizer Regisseurin über die Unterdrückung der weiblichen Lust in den Weltreligionen und die ermutigende Botschaft der Dokumentation.

KURIER: Die Frauen in Ihrem Film kommen aus verschiedenen Kulturen. Was eint sie?

Barbara Miller: Dass sie sich mit der weiblichen Sexualität und dem weiblichen Körper in ihrer Weltkultur auseinandersetzen – und deswegen nicht zuletzt auch mit Schwierigkeiten, etwa Diskriminierung oder auch sexueller Gewalt, konfrontiert waren. Und, dass sie einen Weg gefunden haben, sich von dieser Unterdrückung zu befreien und das Tabu rund um weibliche Sexualität offen ansprechen. Um anderen Frauen Mut zu machen und die Gesellschaft aufzufordern, hinzuschauen.

Warum haben religiöse Normen heute noch so starken Einfluss auf Sexualität?

Es hat mich erstaunt, derart deutliche Parallelen zwischen den Religionen in Bezug auf Frauen zu finden. Die Religionen, die uns seit Jahrtausenden geprägt haben, propagieren eigentlich alle genau dasselbe: Der weibliche Körper ist unwert, unrein und bringt Sünde.

Von diesen Gedanken haben wir uns auch heute nicht befreit. Wir sind uns dessen nicht mehr so bewusst, aber auch in der westlichen Welt sind wir mit Frauenfiguren aufgewachsen, die durch ihren Körper das Böse in die Welt gebracht haben. Siehe Eva, die verbotenerweise vom Baum der Erkenntnis gegessen hat und aus dem Paradies vertrieben wurde. Oder Maria, die jungfräulich Mutter wurde – als komplett asexuell und ausschließlich in ihrer mütterlichen Rolle dargestellt wird.

In welchen gesellschaftlichen Bereichen sind Frauen abseits von Religion Druck ausgesetzt?

Auf Instagram und Facebook geht es zum Beispiel darum, möglichst sexy und perfekt auszusehen und so als Frau einen Wert zu erlangen. Wenn man sich Mainstream-Pornografie anschaut, dann wird darin Sexualität gezeigt, wo die Frau zwar nicht mehr verhüllt ist, aber auch nie „nein“ sagt und alles toll findet. Nicht das weibliche Lustempfinden steht im Fokus, sondern der männliche Orgasmus. Das erzeugt für viele junge Frauen – und natürlich auch junge Männer – den Druck, sexuell genügen zu wollen, um gesellschaftlich Anerkennung zu finden.

Welche Rolle spielen Männer?

Eine ganz wichtige. Im Film war es für mich ein wesentlicher Aspekt, dass die gezeigten Frauen gemeinsam mit Männern für Veränderung kämpfen und in ihrer Selbstermächtigung unterstützt werden. Es ist zentral, dass Männer nicht mehr die große schweigende Mehrheit sind, die sich nicht für Frauen einsetzt. Ich bin überzeugt, dass es Männern auf der ganzen Welt besser gehen würde, wenn Frauen als gleichberechtigte Partnerinnen an ihrer Seite stehen können – nicht nur, aber auch in der Sexualität.

#FemalePleasure: Warum die weibliche Sexualität als obszön gilt

Barbara Miller ist freie Dokumentarfilmerin.

Die Frauen im Film berichten von drastischer sexueller Gewalt und Unterdrückung. Was ist die Botschaft an Frauen, die das Gefühl haben, selbstbestimmt leben zu können?

Je bewusster wir uns sind, wo es Unterdrückung gibt, desto stärker können wir Strukturen verändern. Die gezeigten Frauen vermitteln in diesem Punkt eine unglaubliche Stärke, trotz oder gerade wegen dem, was sie erlebt haben. Statt sich schuldig oder schwach zu fühlen, haben sie sich entschlossen, Veränderung voranzutreiben.

Kommt bei der gemeinsamen Geschichte der Frauen die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Kulturkreisen zu kurz?

Wenn es um den Blick auf die Frau und die weibliche Sexualität geht, sind die Unterschiede zwischen den Religionen tatsächlich sehr klein. Frauen aus westlichen Kulturkreisen haben schon viel mehr erreicht. Es ist aber nicht so, dass es bei uns seit hunderten von Jahren gleichberechtigt abläuft. Darum war es mir wichtig, diese Parallelen zu zeigen. In der Schweiz haben Frauen erst seit 1971 ein Stimmrecht. Vergewaltigung in der Ehe war bis in die 90er-Jahre nicht strafbar.

Außerdem leben wir auch im Westen nicht in einer homogenen Gesellschaft ...

Es ist sehr einfach zu sagen, dass die anderen ein Problem haben. Das passiert heute sehr stark. In erster Linie muss man aber bei sich selbst anfangen.

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