Juan Amador steht in seiner überraschend kleinen, in kräftigem Rot getäfelten Küche, rührt in einer Kasserolle. Greift zum Pürierstab, um die Sauce aufzumixen und schmeckt sie ab. Gegenüber, auf der anderen Seite des zentral platzierten Herds, arbeitet sein Chefkoch David Fleckinger. Jeder Handgriff sitzt, wortlose Kommunikation – ebenso daneben, an der Anrichte. Jakobsmuschel und Kalbsbries arrangieren sie mit knusprigem Topinambur auf kleinen Zwiebelküchlein. Genau jetzt eine auf den Lippen brennende Frage zu stellen erscheint mehr als unpassend, in der konzentrierte Atmosphäre der beiden Köche.
Außerhalb seiner Wirkstätte ist Amador mit Worten so pointiert wie am Herd. Über die Zukunft des Fine Dining zum Beispiel. Seit der dänische Spitzenkoch René Redzepi das Ende seines höchst dekorierten Restaurants Noma in Kopenhagen verkündete, wird immer wieder darüber diskutiert. Mehrfach wurde das Lokal mit drei Sternen bewertet und von der Liste „The World“s 50 Best Restaurants“ zum besten Restaurant gekürt. Innovativ, ungewöhnlich, nur mit Zutaten aus der näheren Umgebung waren das Erfolgsrezept Redzepis „Nordic Cuisine“.
Und jetzt das. Die Spitzengastronomie sei am Ende, nicht nachhaltig, geradezu toxisch beschreibt Redzepi die Gründe für die Schließung des Noma. Juan Amador, der mit seinem Restaurant „Amador“ in Wien eines der besten Lokale Österreichs führt und vom Guide Michelin mit drei Sternen bewertet wurde, sagt dazu: „Es gibt kein Problem der Gastronomie, sondern ein reines Noma-Problem.“
Statt Sterneküche wird heute eher von Fine Dining gesprochen. Er kommt einer Definition lieber mit der Frage nach der eigentlichen Bedeutung des Wortes nahe. „Was bedeutet denn Fine Dining? Feines Essen! Wir haben die besten Produkte, die besten Gerichte entstehen daraus – und dahinter steht ein kreativer Prozess, aus dem sich eine gewisse Philosophie für einen selbst entwickelt.“
Vorurteile
Erklärt der Begriff das Vorurteil von Überspitztheit, monatelangen Wartezeiten oder wenig am Teller für viel Geld? Nur zum Teil. Fine Dining, wie es der seit einigen Jahren in Wien Lebende versteht, sei sehr limitiert. „Dadurch entstehen auch Wartelisten. Das ist wie in der Oper, da bekomme ich für manche Vorstellungen auch nicht sofort eine Karte, da muss ich mich darauf vorbereiten.“ Dass die Portionen im Vergleich zum Wirtshaus am Eck mitunter klein sind, habe seinen Grund. „Wenn man 20 Gänge serviert bekommt, ist das Sättigungsgefühl auch da.“ Sein Menüpreis von 345 Euro sei angemessen. „Es ist nicht günstig, aber preiswert. Was wir servieren, ist den Preis einfach wert.“ Man wolle dem Gast einen „schönen Abend“ bereiten. Auf hohem Niveau, ist hinzuzufügen. „Aber das Wesentliche ist immer der Geschmack, das sind die Erinnerungen, die gutes Essen lebendig machen soll.“
Die Bewertung mit Hauben, Punkten oder Sternen sieht Amador hingegen als „Konsequenz unserer Arbeit“. Dafür koche man nicht, wiewohl er eine Bedeutung nicht unerwähnt lässt. „Natürlich wollten auch wir wieder drei Sterne. Ich habe auch gemerkt, dass es wirtschaftlich wichtig ist.“ Nicht nur für sein Restaurant. Und, wie er sagt, um seine 22 Mitarbeiter bezahlen zu können: „Wenn keiner kommt, müssen wir schließen.“ Sondern ebenso für den Standort Wien. „Wir profitieren ja auch davon, wenn das Steirereck unter den Top 10 ist. So eine Auszeichnung bringt auch Publikum in die Stadt. Die Gäste kommen ja nicht nur zu mir, die gehen eben auch ins Steirereck, zum Mraz, zum Plachutta und vielen anderen.“
Nachhaltige Praktika
Auf Nachhaltigkeit müsse im Grunde jeder achten, Amador steht gleichzeitig zu seiner Philosophie. „Unser Steinbutt kommt aus der Bretagne, der schwimmt halt nicht in der Donau, da geht es um Qualität, nicht Regionalität. Punkt.“ Seine Philosophie ist aus seiner Entwicklung entstanden. „Ich bin in Deutschland aufgewachsen und in Spanien, meine Geschichte ist eine andere“, sagt der Sohn spanischer Immigranten. „Ich kann da nicht nach Wien kommen und sagen, ich verwende jetzt Fische aus der Donau.“
Dann wären noch die Praktika bei Topköchen ohne Bezahlung zu erwähnen. In Österreich ist das aus arbeitsrechtlichen Gründen gar nicht möglich. Lukas Mraz vom Wiener Zwei-Sterne-Restaurant „Mraz & Sohn“ kennt sie aus eigener Erfahrung, im Ausland. Nach dem Gesetz werde man möglicherweise ausgebeutet. „Aber was man mitnimmt, ist unbezahlbar.“ Aber: „Jeder entscheidet das für sich selbst, es wird keiner dazu gezwungen.“ Der „junge Wilde“ führt das Lokal in dritter Generation, bereits sein Vater Markus, mit dem er in der Küche zusammenarbeitet, erkochte zwei Hauben.
Ganze Tiere
Lukas’ Philosophie ist anders – er verarbeitet nur ganze Tiere. „In Fine Dining-Restaurants wird oft nur ein ganz bestimmter Teil eines Tiers verwendet, bei uns ist der Aufwand höher.“ Was dann den Gästen serviert wird, beschreibt er „eher relativ simpel für ein Sterne-Restaurant“. Sich vom „Schönkochen“, wie er es nennt, zu trennen habe aber auch bei ihm „extrem lang“ gedauert.
Eine Art von Umkehrprozess ist das. „Früher habe ich zuerst dran gedacht, wie etwas cool für die Gäste ist. Jetzt möchte ich mit dem Geschmack überzeugen. Nicht mit dem Aussehen oder dem Storytelling.“ Anders gesagt: Wenn etwas am Teller extrem aufwendig ist, ist der Geschmack automatisch nicht mehr so wichtig. „Dann bist du zu 30 Prozent schon überzeugt. Das Geld, das du bezahlt, ist plötzlich selbstverständlich.“ Im Idealfall sei das Gericht auch noch sehr gut.
Ohne Tischtuch
Feines Essen, das gut schmeckt: Dass es gehobene Restaurant-Kultur auch nach dem Noma geben wird, ist in der Branche klar. Es gibt in jedem Jahrzehnt Restaurants, die wichtig waren, etwa Ferran Adrià im El Bulli oder den großen Franzose Paul Bocuse mit seiner „Nouvelle Cuisine“. Und vielleicht heißt die Zukunft auch „Casual Fine Dining“, das sich seit einigen Jahren immer stärker etabliert. „Da trifft man sich in der Mitte“, erklärt Mraz. „Die konzentrieren sich ganz auf das Essen, man hat kein Tischtuch oder Silberbesteck. Heute kochen Sterneköche auch für Holztische.“
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