Einmal jemand anderer sein

Einmal jemand anderer sein
Gerade die besonderen Umstände laden dazu ein, besonders ausgelassen zu feiern.

Die Sehnsucht nach dem Verkleiden scheint dieser Tage größer denn je. Beim Kostümspezialisten Faschingsprinz in der Wiener Taborstraße sind vor allem Klassiker gefragt. Piraten, Polizisten, Feuerwehrleute. Kinder, aber auch Erwachsene wollen jetzt, zumindest für ein paar Stunden, jemand anderer sein.

Neben traditionellen Faschingsfeiern mit Luftschlangen und Konfetti liegen derzeit Dinner & Crime-Abende im Trend, wo man im Twenties-Outfit aufkreuzt. Oder im Siebziger-Jahre-Look. Steckt dahinter ein Hauch von Sehnsucht nach früher, wo vermeintlich noch alles gut war? Im Herbst, zu Halloween, waren die Verkleidungswilligen weniger zart besaitet. Sogenannte Squid-Game-Kostüme waren gefragt. Um einen der markanten Overalls, die jenen aus der gleichnamigen Horror-Serie gleichen, zu erstehen, warteten die Leute bis zu zwei Stunden auf der Straße, erzählt eine Angestellte. Und sie betont: Das Geschäft laufe bestens, die Leute lassen sich das Feiern nicht nehmen. Umso mehr, als die meisten offiziellen Faschingsfeiern oder Umzüge nun abgesagt oder verschoben wurden. Und die Erfahrung der letzten Jahre gelehrt hat: Wer weiß, was noch kommt – nutze den Augenblick. Ein von Lebensberatern oft empfohlenes Motto, das viele in der Pandemie verinnerlicht haben.

Dann die mageren Zeiten

Inhaltlich schließt dieses Gefühl direkt an die christliche Tradition des einmal noch Ausgelassenseins an, bevor die Fastenzeit – oder sonst noch was dräut. Darin liegt eine der vielen historischen Wurzeln des Faschings. Im Fasching, in der Fastnacht, auf dem Opernball oder auf dem Schulwarteball wird noch einmal so richtig gefeiert, bevor am Aschermittwoch die mageren Zeiten anbrechen. Ausprägung und Bezeichnung dieses gefühlt letzten Aufbäumens von Lebensfreude variieren, sind aber in den meisten Kulturen vorhanden. Auch in Österreich gibt es starke regionale Unterschiede. In Wien hat Fasching traditionell viel mit Ball zu tun. Wo natürlich nicht nur ausgelassen gefeiert, sondern auch Politik betrieben wurde. Kriege führen mögen andere, du glückliches Österreich, tanze.

So gut wie jede Berufsgruppe hatte einst ihren eigenen Ball. Zuletzt auch Astronomen und Kosmonauten beim Ersten Österreichischen Weltraumball. Und in welcher Stadt der Welt kann man schon einen Ballalarm abonnieren, um ja keine Feierlichkeit zu versäumen?

Umzüge und Faschingsgilden dominieren auf dem Land oder in den Wiener Außenbezirken. Legendär ist etwa die 1978 gegründete Döblinger Faschingsgilde mit dem für Außenstehende etwas unterkomplex wirkenden Schlachtruf „Dö Bling Bling“.

Beklemmend heiter

Eine gesamtösterreichische Besonderheit ist das Faschingsgschnas, in Deutschland kennt man es in Bayern. Ein bemerkenswertes Zusammentreffen von Joballtag und Narrenkostüm, zu sehen im beklemmenden Gerhard-Polt-Film „Kehraus“ (1983).

Und die Verkleidung? Für einen Abend Vamp statt Mauerblümchen sein? Einerseits ersehnte Pause vom Ich. Andererseits ist für manche der Alltag Verkleidung genug, schließlich haben wir auch am Arbeitsplatz eine Rolle zu spielen. Kleidung als Tarnung – man kennt das aus der Tierwelt. Manchmal ist es schwer zu sagen, ob wir, um bei den Tieren zu bleiben, gut getarnte Chamäleons oder auffällige Pfauen sein wollen.

Verkleiden heißt immer, in eine Rolle zu schlüpfen. Oder eben, sich der Umgebung anzupassen. Das von Großstädtern routinemäßig angelegte Trachtenkostüm im Salzkammergut fällt ebenso darunter wie Anzug und Krawatte im Büro. Kostümierung bedeutet ebenso in eine Rolle wie aus einer Rolle fallen.

Das gab es in der Geschichte etwa auch bei den Saturnalien, einem römischen Festtag zu Ehren des Gottes Saturn, wo alles, was sonst verboten, plötzlich erlaubt war: Es war unter anderem der Tag, an dem die Herren die Sklaven bedienten. Die Tradition, dass die Reichen Unterschicht spielen, kennt man noch Jahrhunderte später am Wiener Hof, wo sich die Adeligen gerne als einfache Bauersleute und Mägde verkleideten.

Manchmal steckt hinter dem Privilegierten, der sich mit Maske unter das Volk mischt, der Wunsch, herauszufinden, was andere über ihn denken. Andererseits ist Maskierung, vorzugsweise im Narrenkostüm, auch eine Möglichkeit, im Ausbrechen aus dem Alltag endlich das zu sagen, was man sonst nur heimlich denkt. Kinder und Narren, heißt es, sagen die Wahrheit.

Kommentare