Faschingsgschnas oder Opernball: Ist das Kleidung oder Verkleidung?
KURIER: Besteht zwischen Kleidung und Verkleidung eine Beziehung?
Stefan Hulfeld: Ja. Wir erlernen unser Verhalten anhand dessen, was uns vorgelebt wird. Dazu gehört eine bestimmte Art von Kleidung, die vieles, was wir in der Gesellschaft leben, normiert.
Heißt das, wir verkleiden uns auch im Alltag?
Zunächst einmal kleiden wir uns im Alltag. Mit diesem Sachverhalt gehen verschiedene Sprachen unterschiedlich um. Nehmen Sie das französische Wort „coutume“, also Brauch, von dem sich das Wort „coustume“, „Kostüm“, ableitet. Sehr viele Normen holen wir uns in unserem Interagieren mit der Umwelt ein. Dazu gehört die Art und Weise, wie wir uns kleiden, als Teil der Sichtbarmachung von uns selbst. Das Aussehen zu verfremden, schafft unterschiedliche Freiräume. Zum Beispiel, um andere soziale Erfahrungen zu machen. Das ist ein wesentlicher Punkt, warum es Spaß macht, sich mit anderen Menschen zu treffen unter dem Motto: Wir verkleiden uns alle.
Verschwimmt die Grenze zwischen Kleidung und Verkleidung manchmal?
Ja. Anders als in der Schweiz oder in Köln, den katholischen Fastnachtsburgen, haben wir in Wien einen vom Reformabsolutismus geprägten Karneval. Hier hat sich der Fasching stark auf Bälle und Gschnasfeste verlagert. Es ist interessant, sich anzuschauen, wie etwa der sichtbarste Ball, der Opernball, diskutiert wird.
Da gibt es Menschen, die sich so elegant wie möglich anziehen, es gibt einen Dresscode und den kann man in einer möglichst stark individualisierenden Weise interpretieren. Schuhe, Frisur, Kleidung, die man sonst nicht trägt: klar normiert, alles eine Art von Idealisierung. Ist das Kleidung oder Verkleidung?
Dann sieht man aber auch sehr extravagante Dinge, die eigentlich schon in Richtung Gschnas gehen.
Traditionalisten finden das furchtbar. Schrilles, Buntes will man da nicht sehen. Beim Life-Ball wiederrum ist das Extravagante Voraussetzung. Es geht immer um das Subjekt, seinen gesellschaftlichen Zusammenhang und die dazugehörigen Normen. Eine Veranstaltung wie der Opernball ist fast noch normativer als der Alltag.
Und beim Faschingsgschnas lassen wir die Normen hinter uns?
Ja und nein. Es kommt etwas Spielerisches herein, das wir nutzen können. Aber es kommt darauf an, ob wir mit irgendwelchen im Internet georderten Masken hingehen und das selbe tun wie immer, oder ob wir die andere Wahrnehmung unseres sozialen Umfeldes nutzen. Ich habe in meinen Gschnaserfahrungen schon interessante Dinge erlebt. Ein Kollege von mir ist einmal zu einer „Bad Taste“-Party in der Badehose gekommen und hat sich zusätzlich noch einen Sonnenbrand auf den Bauch schminken lassen. So hat er den ganzen Abend mit den Uni-Kollegen geplaudert. Das ist schon ein Statement. Natürlich verschiebt sich da die Wahrnehmung. Man erlebt bei solchen Gelegenheiten schon neue Seiten an den Menschen.
Stimmt also die Binsenweisheit „Kleider machen Leute?“
Die Kleider allein nicht. Das machen schon die Menschen selbst. Aber wer sind die, die uns sagen, was wir zu tragen hätten? Woher kommen die Ideen, was wo wie geht? Wer bestimmt die Standards der Mode oder des Arbeitsumfelds? Schauen Sie sich universitäre Umfelder an: Sie werden andere Beobachtungen machen in einem Seminar für angehende Juristen als bei uns auf der Theaterwissenschaft, wo das Ausdrücken einer starken Individualität gelebt wird. Das Sich-Verkleiden schafft einerseits Bewusstsein dafür, andererseits einen spielerischen Möglichkeitsraum.
Sind Verkleidungen und Masken auch ambivalent? Anpassung ebenso wie Betonung von Individualität?
Ja, aber die Verfremdung unserer Erscheinung schafft meistens schon erhöhte Aufmerksamkeit. Verkleidung gibt es in unterschiedlichen Möglichkeiten: Entweder etwas Überindividuelles wie Hexe, Dämon oder Tod, also nicht bürgerliche Lebenskonzepte. Oder ich verkleide mich als Krankenschwester. Das ist einfach das Verschieben einer anderen Sozialrolle. Interessant ist, in welche Richtung Leute da gehen. Wenn wir heute Menschen nach Masken und ihrer Funktion fragen, würden die meisten sagen, dass das etwas mit ihrer Persönlichkeit macht. Und würden dazu neigen, psychologisierende Erklärungsmuster zu finden. Etwa: Was sie ausleben, das sie sonst nicht können.
Was werden Sie denn heuer ausleben, was Sie sonst nicht können? Anders gefragt: Als was gehen Sie beim nächsten Faschingsgschnas?
Ich gehe als roter Affe. Diese Maske ist mein Gegenüber, wenn ich Zuhause am Schreibtisch sitze.
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